Fachtagung am 29. Oktober 2008 im Abgeordnetenhaus Berlin
Zur Konzipierung der zweiten religiös geprägten Veranstaltung wurde eine Planungsgruppe eingerichtet. Sie hatte die Aufgabe, eine Fachtagung zu entwickeln, auf der Einrichtungen mit unterschiedlichem religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund ihren Umgang mit Fragen der Religiosität und Transzendenz präsentieren können. Die zunehmende soziale Mischung in den Kitas, die für eine mobile, individualisierte Gesellschaft prägend ist, bedeutet für die Träger, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, dass die Mehrheit der Kita-Kinder und ihre Eltern der Religionsgemeinschaft des Trägers angehören oder dessen nicht-religiöse Weltanschauung teilen. Auf der Fachtagung wurde auch in theoretischen Beiträgen die Leitfrage diskutiert: Welche Folgen für die religiöse und weltanschauliche Bildung und Erziehung in der Kita haben solche gesellschaftlichen Entwicklungen für die Träger, die Eltern und Familien und, vor allem, die Kinder?
Foto: Gundula Stöcker, KITA-Zweckverband im Bistum Essen / Archiv KTK-Bundesverband
Die Entwicklung der moralischen, religiösen und kulturellen Identität des Kindes
Prof. Dr. Birgit Bertram von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin referierte über die kindliche Identitätsentwicklung und die dafür förderlichen Rahmenbedingungen. Nach Piaget charakterisierte sie den Prozess des Aufwachsens als einen von Fremdbestimmtheit zu Autonomie. Kleine Kinder übernähmen die Regeln der Erwachsene zunächst unhinterfragt. Mit der Entwicklung ihrer kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten sowie der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel fingen sie an, die ihnen vorgegebenen Regeln zu hinterfragen. Um sich zu autonomen Individuen zu entwickeln, brauchten Kinder während dieses Prozesses vor allem verlässliche (und liebende) Erwachsene, aber auch die Möglichkeit der kognitiven Differenziertheit durch Erfahrungen in Kontexten außerhalb des engen Familienkreises sowie Gleichheit im Sinne eines ausgeglichenen Machtverhältnisses zwischen Erwachsenen und Kindern.
Der Kitabesuch trage zu allen diesen Voraussetzungen bei. Heutzutage jedoch sei z. B. aufgrund der Ergebnisse der PISA-Studien eine Entwicklung im Gange, die – laut Bertram – die Elementarpädagogik auf die Förderung der kognitiven Fähigkeiten reduziere. Diese Reduktion sei „fragwürdig bis falsch“, weil neben dem Kopf auch die Seele und der Körper für eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen wichtig seien. Vor diesem Hintergrund plädierte Bertram überzeugend für mehr Freiräume für Kinder, in denen sie ohne Eingreifen ihre eigenen Regeln aushandeln, ohne Aufsicht sich selbst organisieren und ohne Vorgaben frei spielen könnten.
Die Erwartungen von Eltern an die religiöse Werteerziehung in der Kita
Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg berichtete in seiner Präsentation aus seiner Forschung über Werte und Erziehung in islamischen Familien in Deutschland. Einleitend stellte er den Wandel der gängigen Erziehungsziele in Deutschland vor. In den 1950er- bis 1970er-Jahren seien die dominanten erzieherischen Werte z. B. Gehorsam, Ehrlichkeit, Ordnung, Hilfsbereitschaft, Reinlichkeit, gute Manieren zu haben, Eltern nicht zu widersprechen, gewesen. Danach seien zunehmend Selbstständigkeit und mit ihr Selbstbewusstsein und Selbstverantwortlichkeit betont worden. Vor diesem Hintergrund sehe ein relativ häufiges Erziehungsziel in islamischen Familien – den Eltern nicht zu widersprechen – nicht mehr so fremd aus.
Obwohl Forschung über die langfristige Auswirkung unterschiedlicher Erziehungsstile (autoritativ, autoritär, nachgiebig, vernachlässigend) die Überlegenheit des autoritativen Stils im Sinne von höherer kognitiver Kompetenz, der höchsten Form der Selbstwirksamkeit und des niedrigsten Problemverhaltens belegten, sei dieser Erziehungsstil nicht wirksam, wenn andere erzieherische Ziele relevanter seien als beispielsweise Selbstständigkeit. Deswegen sei der Erziehungsstil nicht einfach übertragbar, ohne dass eine vorherige Veränderung der Erziehungsziele und Werte stattfinde. Als Teil der Erklärung für die unterschiedlichen Erziehungsstile erwähnte Uslucan den Bildungsgrad. Bis 1998 habe die Schulpflicht in der Türkei nur fünf Jahre betragen. Vor diesem Hintergrund sei der Besuch der Hauptschule für viele türkischstämmige Familien ein Bildungsaufstieg.
Uslucan berichtete weiter aus anderen Studien, die einerseits eine höhere Bedeutung von religiöser Pflichterfüllung als Erziehungsziel bei türkischen Eltern als bei deutschen Eltern, andererseits deutliche Unterschiede in der Bedeutung von Religion im Alltag von türkischen Muslime in Deutschland zeigten. Für ein Drittel dieser Gruppe spiele Religion keine Rolle, für einen großen Teil der Befragten sei Religion ein selbstverständlicher Teil ihres Lebens, aber ohne Hauptbezug zu sein. Für etwa knapp 10 % sei Religion äußerst stark, auch ein starkes Abgrenzungskriterium. Es sei seit langem bekannt, dass Angst das Lernen eher hindere als fördere. Mit religiöser Erziehung sei es genauso. Ein zorniges, strafendes Gottesbild könne die kindliche Entwicklung negativ beeinflussen. Aber ein schützender, bedingungslos liebender Gott könne in einem von Diskriminierung geprägten Migrationskontext eine Stütze und zugleich Ressource sein.
Die Verantwortung der Träger für religiöse Werteerziehung
In seinem Vortrag erläuterte Matthias Spenn vom Comenius-Institut, Evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft in Münster, warum Religion für Kinder und in der Kita wichtig sei. Dabei ging er auf einige Aspekte der Religion ein, die er zu einer Landkarte zusammenstellte: Religion biete ein Deutungs- und Bewältigungsmuster für Transzendenzfragen, Religion sei ein Modus der Weltbegegnung, die Kita ein Ort der interkulturellen und interreligiösen Begegnung unter Gleichaltrigen und Religion spiele auch entweder ausdrücklich oder implizit in der pädagogischen Arbeit der Kindertageseinrichtung immer eine Rolle, z. B. im Jahreskreis – oder durch Mythen, Symbole, Rituale, wobei Weihnachten für die Christen eines der bedeutendsten Beispiele sei.
Spenn vertrat die These, dass „religiöse Werteerziehung eigentlich eine Dimension allgemeiner Bildung ist und nicht vordringlich irgendeine Vermittlung von bestimmten Werten“. Das bedeute, dass Religion nicht für die Vermittlung vorbestimmter Wertvorstellungen instrumentalisiert werden darf, sondern eine Kita müsse angesichts der gegebenen Heterogenität und Pluralität die Fähigkeit haben, mit der Vielfalt und der Individualität der Kinder umzugehen. Konkret hieße das, Kinder dazu zu befähigen, selbst ihre Werte zu finden und ihnen nicht Werte in irgendeiner Weise aufzudrängen.
Die Träger müssten mit konfligierenden Zielen umgehen. Einerseits seien sie zur weltanschaulichen Neutralität, andererseits zu einer pädagogischen Qualität verpflichtet. Vor diesem Hintergrund fragte Spenn: „Was ist eigentlich das Alleinstellungsmerkmal, das Eltern veranlassen könnte, genau da das Kind hinzubringen?“ Religion könne durchaus eine wichtige Rolle in der Prägung der Einrichtung spielen, aber wie weit könne das gehen? Um diese Herausforderung zu meistern, seien folgende Faktoren entscheidend:
• Qualifizierung der Mitarbeitenden in religiösen Fragen und zum interreligiösen Dialog
• Entwicklung einer pädagogischen Kultur in der Einrichtung unter Einbeziehung religiöser Dimensionen
• Ermöglichung unterschiedlicher Modi der Weltbegegnung und nicht nur eines Modus
• Vernetzung und Kooperation mit anderen Bildungsakteuren und Unterstützungssystemen, besonders den Religionsgemeinschaften
Das Welt Café
Im zweiten Teil der Fachtagung hatten die Teilnehmenden Gelegenheit, sechs Stände zu besuchen, die Kitas aus unterschiedlicher Trägerschaft aufgebaut hatten. Dort diskutierten sie mit den Mitarbeiterinnen über ihre Konzepte für religiöse Werteerziehung und tauschten Erfahrungen aus. Im Anschluss resümierten die Mitarbeiterinnen die Hauptthemen der Gespräche.
Katholisches Kinderhaus „Carlo Steeb“, Tübingen
Selbstbeschreibung: Die Arbeit orientiert sich in erster Linie an den christlichen Grundwerten und an dem Auftrag des Ordensgründers Carlo Steeb. Für ihn war es das vordergründige Ziel, sich für die Schwächsten der Gesellschaft einzusetzen, zu denen auch oder besonders die Kinder gehören.
Um diesem Anspruch in der täglichen Arbeit gerecht zu werden, werden keine Unterschiede zwischen Herkunft, Kultur, Religion, unterschiedlichen Lebens-, Familien- und Erziehungssituationen gemacht. Das Kinderhaus arbeitet mit dem Konzept des Situationsansatzes, das bedeutet, die Lebenssituation der Kinder und ihrer Familien zur Grundlage der pädagogischen Arbeit zu machen. Die Erzieherinnen führen eine Situationsanalyse durch, d. h. sie erkunden die Lebenswelt ihrer Kinder, legen Lernziele fest und stimmen ihre pädagogischen Angebote darauf ab.
Resümee: Die Mitarbeiterinnen waren vom großen Interesse der Teilnehmenden besonders beeindruckt. Am häufigsten gefragt wurde nach dem Umgang mit verschiedenen Religionen, ob die Schwestern mit im Haus leben und nach der Geschichte von Carlo Steeb. Ihnen sind die unterschiedlichen Bedürfnisse der Betreuung je nach Bundesland (z. B. Öffnungszeiten, Land/Stadt) deutlich geworden.
Jüdische Gemeinde zu Berlin, Kindertagesstätte
Selbstbeschreibung: Der jüdische Kindergarten legt Wert auf eine jüdische Erziehung, zu der die Einhaltung der jüdischen Feiertage, koscheres Essen und Hebräisch-Unterricht (ab dem 4. Lebensjahr) gehören. Als Integrationskindergarten spielt aber auch die Förderung der deutschen Sprache eine große Rolle – zwei Sprachlehrer arbeiten und spielen in kleinen Gruppen mit den Kindern und setzen Sprachlerntagebücher ein. Als Kindergarten, der das Berliner Bildungsprogramm umsetzt, bietet der Jüdische Kindergarten Projektwochen, musikalische Früherziehung, Gymnastikunterricht, den Umgang mit Computer, Digitalkamera und weiteren Medien an. Natürlich kommen auch Basteln, Malen und das Arbeiten mit Ton (für das ein eigener Brennofen zur Verfügung steht) nicht zu kurz.
Resümee: Auch die Mitarbeiterinnen der jüdischen Kita waren vom großen Interesse der Teilnehmenden beeindruckt. Andererseits haben sie gemerkt, wie wenig Vorkenntnisse viele über das Judentum hatten. Häufig gestellte Fragen betrafen den Umgang mit Kindern aus anderen Religionen, die Religionszugehörigkeit des Personals, ob sie nach dem Berliner Bildungsplan arbeiten würden und welche besondere Sicherheitsvorkehrungen die Einrichtung hätte. Die Mitarbeiterinnen haben sich über die Gelegenheit, ihre Arbeit anderen pädagogischen Fachkräften vorzustellen, sehr gefreut.
Humanistische Kitas
Selbstbeschreibung: Kitas sind Bildungsorte für Kinder, in denen sie erfahren, respektvoll miteinander umzugehen und demokratische Regeln zu erproben. Die Erzieherinnen und Erzieher regen Kinder an, kritisch und unabhängig eigene Positionen zu bilden. Benachteiligungen anderer entgegenzutreten, kulturelle Unterschiede zu achten und Konflikte ohne Gewalt auszuhandeln gehören dabei ebenso zu den Lernzielen. Humanistische Kitas fördern ein interkulturelles Zusammenleben und integrieren Kinder mit Behinderungen. Humanistische Kindertagesstätten sind Bildungs- und Wohlfühlorte, in denen Kinder und Erwachsene gemeinsam leben und lernen. Die Grundidee von humanistischer Erziehung ist das Recht und die Anerkennung einer Gleichwürdigkeit von Kindern und Erwachsenen im Zusammenleben. Sie leben u. a. wechselseitige achtungsvolle Beziehungen, nehmen die Bedürfnisse der Kinder ernst und respektieren ihre individuelle Verschiedenheit.
Resümee: Besonders beeindruckt waren die Mitarbeiterinnen der Humanistischen Kitas über die Neugier der Teilnehmenden, die sich in einem sehr offenen Austausch gezeigt hat. Am häufigsten wurde gefragt, wie sie vor dem Hintergrund einer spezifisch ausgerichteten weltanschaulichen Konzeption mit der Vielfalt der Kulturen, die Kinder in das Haus bringen, umgingen. Ferner wollten viele Teilnehmenden wissen, wie die humanistischen Kitas mit religiösen Festen umgehen, diese ausgestalten und vermitteln. Die Mitarbeiterinnen haben hilfreiche Anregungen aus den Gesprächen gesammelt und wollen über ein Konzept mit dem Fokus „Kulturelle Werte, Kulturelle Bildung“ für den Kita-Alltag nachdenken sowie den Reichtum des Dialogs zwischen unterschiedlichen Religionen, Weltanschauungen und Kulturen für die Wertebildung nutzen.
Evangelische Kita Noahs Arche Selbstbeschreibung: Die Arbeit der evangelischen Kindertagesstätten ist diakonische Arbeit und konkrete Hilfe für Kinder und Eltern, unabhängig vom religiösen Bekenntnis und von der Nationalität der Familien. Sie sehen die Kinder als vollwertige kleine Menschen und möchten sie an das Wissen und die Werte unserer Gesellschaft heranführen, ihre Fragen aufgreifen und beantworten, ihre Phantasie beflügeln und ihnen Mut zum Leben machen. Die Lebenswirklichkeit wird unter christlichen Vorzeichen gesehen, daher werden auch die Kinder mit diesem Wertegefüge vertraut gemacht, um ihnen eine gute Lebensgrundlage zu geben.
Resümee: Die Mitarbeiterinnen wurden häufig nach den religiösen Bedürfnissen von Kindern gefragt, z. B.: Sind Kinder religiöse Wesen? Brauchen Kinder Religion? Fragen Kinder von sich aus nach Gott oder wird es ihnen aufgedrückt? Sie haben festgestellt, dass es nicht so schwierig ist, wenn Menschen etwas Unterschiedliches glauben, sondern wenn Erwachsene Angst haben, sich überhaupt darauf einzulassen: „Berührungsängste überwinden ist das Schwierigste“. Zukunftsweisend finden sie es wichtig, das Tabu, über religiöse Fragen und religiöse Hintergründe oder Zusammenhänge im Alltag zu sprechen, zu überwinden und sich zu trauen, und das quer durch alle Glaubensrichtungen und nicht nur für Theologen/Theologinnen, sondern alle, die ehrlich über ihre Erfahrungen reden wollen.
Kinderladen „Salam-Frieden“ Selbstbeschreibung: Die interkulturelle Erziehung gewinnt in Zeiten der Globalisierung und multikulturellen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. In Einrichtungen, die diesem Konzept folgen, werden Kinder mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund gemeinsam betreut. Gefördert werden das gegenseitige Kennenlernen der Kulturen, der Umgang mit (kulturellen) Differenzen, die Fähigkeit zum interkulturellen Dialog und die sprachliche Entwicklung der Kinder. Ziel ist es, die kulturelle Vielfalt als Chance und als Bereicherung im Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft zu sehen und die Kulturen als gleichberechtigt und gleichwertig anzusehen. So soll schon im Kindesalter ein vorurteilsfreies und selbstverständliches Miteinander gelebt werden.
Resümee: Es war den Mitarbeiterinnen schnell klar, dass ähnlich wie beim Judentum die Teilnehmenden relativ wenig Vorwissen über den Islam hatten. Es wurde häufig gefragt, wie der Islam sich im Alltag äußere und ob nicht-islamische Feste auch gefeiert werden. Auch hier wurde nach der Freiwilligkeit der Kinder oder einem Zwang zur Anpassung gefragt. Wie aber bei keiner anderen Kita wurde nach der Qualifikation der Mitarbeiterinnen und danach, ob sie ein Kopftuch tragen, gefragt. Die wichtigste Erkenntnis für die Mitarbeiterinnen waren die vielen Parallelen zwischen ihrer Arbeit und der in anderen konfessionellen Einrichtungen. In Zukunft wünschen sie sich, dass häufiger an den Gemeinsamkeiten angeknüpft und weniger auf die Unterschiede geblickt wird.
Gescher e.V. Selbstbeschreibung: Gescher e. V. unterhält eine Kindertagesstätte, in der 37 Kinder im Alter von Geburt an bis 14 Jahre bei Bedarf ganztägig betreut werden. Die Kita arbeitet gemeinwesenorientiert anhand der gemeinsamen ethischen Werte der abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Genutzt werden die Sprachen Deutsch, Russisch und Englisch in Immersion. Ein Ziel ist es, ein erfolgreiches Curriculum zu entwickeln, welches auf der ethischen Basis der drei in Europa relevanten Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam in Verbindung mit den säkularen Werten einer modernen Demokratie, im Bewusstsein der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, in einer Realität nach dem 11. September 2001 in der Lage ist, Hilfestellung für eine erfolgreiche integrative öffentliche Erziehung und Bildung zu geben.
Resümee: Die Leiterin fand die Diskussionen notwendig und überfällig, aber nicht alle sind so offen wie die Teilnehmenden. Sie merkte, dass Minderheiten (hier Islam und Judentum) mit Misstrauen betrachtet werden (z. B. durch Fragen nach Berechtigung, Qualifikation, Kontrolle etc.). Nötig ist ein Dialog der Religionen und Weltanschauungen auf gleicher Augenhöhe. In der pädagogischen Arbeit soll sich das im Versuch niederschlagen, nicht nur das Eigene zu ergänzen, sondern aus zwei Dingen etwas Neues zu machen. Diese Diskussion will die Leiterin auch nach der Fachtagung weiterführen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das durchaus kritische Interesse an anderen Konzepten und Erfahrungen enorm war. Fast alle Teilnehmenden wollten wissen, wie andere Kitas mit Kindern umgehen, die nicht der Religion oder Weltanschauung des Trägers angehören. Offensichtlich ist dies eine wichtige Frage, auf die es momentan keine einfachen Antworten gibt. Aus diesem Grund sind weitere Forschung und Austauschveranstaltungen zu dieser Frage dringend nötig.
Reflexionsrunde
Zum Abschluss der Fachtagung resümierte die Planungsgruppe den Planungsprozess und zog ein Fazit der Fachtagung.
Dr. Ayyub Axel Köhler unterstrich die Vielfalt der Kitas als Einrichtungen, in denen alle Weltanschauungen und Religionen vorhanden seien. Deswegen dürfe keine Religionsgemeinschaft sich mit seiner Kita abschotten und nur einen in sich geschlossenen Kreis bilden, sondern „Kitas werden mehr zivilgesellschaftliche Einrichtungen“. Angesichts der gesellschaftlichen Vielfalt seien zwei Entwicklungen wünschenswert: erstens mehr Mitarbeiter/-innen mit interkultureller Kompetenz und zweitens mehr islamische Kitas, denn, sagte Köhler, „der Islam gehört zur Vielfalt hier in unserem Lande.“
Unterstützung für die Forderung nach mehr islamischen Kitas erfuhr Köhler von Vera Caro. Für sie trügen islamische Kitas zur Verfestigung des Islams in der deutschen Gesellschaft und zum Abbau von Vorurteilen bei. Als Leiterin einer jüdischen Kita hätte sie auf der Tagung Anerkennung „von anderen Religionen und Minderheiten“ erfahren.
Zum Anfang seines Fazits berichtete Dr. Jürgen Frank über die Punkte, über die sich die Mitglieder der Planungsgruppe einig seien. Der erste Punkt sei, das Kind immer in den Mittelpunkt zu stellen und dem Kind das Recht zu gewähren, in seinen religiösen Fragen „gefördert zu werden, Nachdenkhilfen zu bekommen und eine Kultur angeboten zu bekommen.“ Darauf sei die Feststellung in der Gruppe gefolgt, dass, obwohl sie gemeinsame Werte teilten, wie das Wohl des Kindes und dessen Entwicklung, ihre Wurzeln und damit die Art und Weise, wie sie Liebe und Zuwendung zu den Kindern ausdrückten, dennoch verschieden blieben. Das sei jedoch kein Hindernis zur Zusammenarbeit gewesen, sondern „unter uns allen ist der Respekt jeweils von der Verwurzelung des anderen gewachsen.“
Dr. Werner Gatzweiler (KTK Bundesverband) unterstrich die Bedeutung der Verwurzelung und in Anlehnung an Prof. Dr. Bertrams Vortrag hob er emotionale Sicherheit als Grundbedingung für den Umgang mit Vielfalt hervor. Dazu gehöre das Gefühl, selber etwas wert zu sein. Diese Kombination der emotionalen Sicherheit und das Gefühl, etwas wert zu sein, gebe die Kraft, sich mit anderen über Unterschiede auszutauschen und dabei nicht die eigene Position zu verlieren.
Für Marie Wätke hat die Fachtagung das Wissen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften übereinander sowie den Dialog miteinander gefördert. Sich gegenseitig „ihre Türen zu öffnen“, fördere den Umgang mit Vielfalt. Als Ausgangspunkt gelte die Offenheit, die sie während der Planung und Durchführung der Fachtagung erfahren habe.
Cornelia Spohn hat am meisten die hohe Kompetenz der Kita-Mitarbeiter/-innen beeindruckt, wie sie „die Quadratur des Kreises schaffen,“ einerseits das Profil des Trägers sichtbar werden zu lassen und „gleichzeitig die Lebenswelten der Kindern, die manchmal nicht unbedingt dem Profil des Trägers entsprechen, trotzdem einzubinden, sie willkommen zu heißen und auf sie einzugehen.“
Das Thema Elternarbeit wurde mehrmals vom Podium und Publikum angesprochen. Auch auf anderen Veranstaltungen im Rahmen des Projektes „Kinder brauchen Werte“ wurde über die Schwierigkeiten, manche Eltern zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zu motivieren, gesprochen. Frank wies auf Prof. Dr. Uslucans Vortrag hin: Es ginge nicht nur um Werte und Religion, sondern um das Lebensgefühl und den Zusammenhalt der Familie und Kultur. Deswegen müsse zuerst Vertrauen zu den Eltern aufgebaut werden, bevor über Religion gesprochen werde.
Zur Frage, wie sich Kinder Werte aneignen, schlug Frank das Motto vor: Nur wer selber brennt, kann entzünden. Demnach müssten Werte attraktiv sein und die Kinder ergreifen. Die Kitas hätten auf ihren Ständen gezeigt, wie „die überzeugten, professionellen, engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kindertagesstätten in ihrer Person die Werte verkörpern und auch deutlich machen, worin sie wurzeln.“ Köhler ergänzte, die Person solle fest in dem eigenen Glauben, in der eigenen Glaubenswelt verwurzelt sein, um damit die Kinder ein eindeutiges Vorbild sehen zu lassen.
Gatzweiler fügte hinzu, in den katholischen und evangelischen Kitas seien die Erzieherinnen „in ihrem christlichen Glauben ganz unterschiedlich beheimatet.“ Diese Tatsache sei eine Lernchance für das Team in einer Einrichtung, nicht auf vorgefertigte Antworten zurückzugreifen, sondern „sich auf den Weg zu machen.“ Gemeinsam und auch mit den Kindern über den Glauben zu diskutieren, sei authentisch und mache die Erzieherinnen glaubwürdiger.
Zum Schluss diskutierte das Podium über die Neigung zu und die Rechtfertigung von Bewertungen. Spohn stellte auf, dass der Glaube etwas sei, was man nicht bewerten könne, die Handlungen jedoch, die aus dem Glauben begründet werden, dann wohl. Ferner wies sie auf die schnellen unbewussten Bewertungen, die wir ständig machten, hin und plädierte dafür, sie sich im Dialog immer wieder bewusst zu machen. Dr. Köhler fragte, wer eigentlich berechtigt sei, auf dem Glauben basierte Handlungen zu bewerten. Wenn solche Handlungen nicht gegen Gesetze verstießen, könne man sie nicht bewerten. Er sah ein aktuelles Problem darin, dass Menschen ohne jeglichen Zugang zur Spiritualität oder Religiosität religiöse Handlungen bewerteten, wenn eigentlich nur diejenigen, die die Handlung ausführen oder Gelehrte sind, diese beurteilen könnten. Aus der Perspektive eines Muslims fügte er hinzu: „Ich muss sagen, wir leiden schon darunter, unter denen, die sich anmaßen, so etwas bewerten zu können. Wir müssen sehen, dass wir möglichst weise Erzieher/innen kriegen in den Kitas, die damit souverän umgehen können und dann in Verbindung mit dem Elternhaus nicht Konflikte im Kind erzeugen.“
Frau Wätke erweiterte den Blick auf das Kind. Sie denke, dass Bewertung von Handlungen permanent stattfinde. Kinder bewerteten permanent und prüften die Tragfähigkeit der Werte, welche die Erwachsenen leben. Daraus erwüchse die Verantwortung der Erwachsenen für ihre Handlungen und die Botschaften, die sie damit vermittelten. Für sie sei das Entscheidende, „dass die Bewertungen, die ich mache, meine sind und für mich gelten und ich nicht den Anspruch erheben darf, dass die Bewertung, zu der ich komme, übertragbar wäre für andere.“
Eine Zusammenfassung der Vorträge erschien in „Welt des Kindes“, Heft 1, 2009, S. 42-43.