Dr. Michael Wrase vom WZB eröffnete das Thema mit einem interessanten Blick auf die rechtlichen Auswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) auf den Begriff der Inklusion. Durch die UN-BRK sei Inklusion zu einem rechtsverbindlichen Begriff geworden, der beispielsweise bezogen auf das Bildungssystem in Deutschland zu grundlegenden Veränderungen führe. Dr. Wrase erläuterte den Anwesenden zunächst, warum er sich im Weiteren auf den englischen Originaltext der UN-BRK beziehe. So sei die englische Version zum einen die rechtsverbindliche Version der UN-BRK, zum anderen sei die deutsche Übersetzung leider teilweise unpräzise und beinhalte beispielsweise nicht den Begriff „Inklusion“, stattdessen würde lediglich von „Integration“ gesprochen. Nach diesem Exkurs erläuterte er in einem ersten Schritt, wie sich Rechtsbegriffe im engeren und im weiteren Sinne definierten. So seien Rechtsbegriffe im engeren Sinne juristisch unmittelbar von Bedeutung sowie juristisch zu interpretieren und anzuwenden, das heißt sie ziehen Rechtsfolgen nach sich. Als Beispiel für einen derartigen Rechtsbegriff im engeren Sinne führte Dr. Wrase die nachfolgende Passage der UN-BRK an:
„States parties shall ensure an inclusiveeducation system at all levels”.
Hierbei handele es sich um einen Rechtsbegriff im engeren Sinne, der schließlich auch in Art. 24 Abs. 2 BRK konkretisiert wird. Rechtsbegriffe im weiteren Sinne wiederum eröffneten über das positive Recht hinausgehende Sinnverständnisse, seien Leitbilder für ganze Rechtsgebiete (wie das „Behindertenrecht“) und könnten als Interpretationshilfen dienen. Beispielhaft hierfür sei der Artikel 3 „General principles“, in dem es heißt:
“The principles of the present Convention shall be:
a. Respect for inherent dignity, individual autonomy including the freedom to make one’s own choices, and independence of persons;
b. Non-discrimination;
c. Full and effective participation and inclusion in society”
Im Weiteren skizzierte Dr. Wrase das Konzept der Inklusion. So bedeute Inklusion als „Form der Berücksichtigung von Personen in Sozialsystemen“ (Stichweh 2005) – oder wie Dr. Wrase konkretisierte, von Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit – die gleichberechtigte soziale Teilhabe aller zu ermöglichen. Es gehe also immer um Inklusion versus Exklusion. Entsprechend sei laut Dr. Wrase ein System dann exkludierend, wenn es menschlich-sozialer Vielfalt, also Diversität, nicht ausreichend Rechnung trage. Diesem Konzept folgend führe auch die UN-BRK den Gegenbegriff in einem Diskriminierungsverbot in Art. 5 Abs. 2 konkret aus. Diese Diskriminierung wird in Art. 2 genauer definiert:
„’Discrimination on the basis of disability’ means any distinction, exclusion or restriction on the basis of disability which has the purpose or effect of impairing or nullifying the recognition, enjoyment or exercise, on an equal basis with others, of all human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural, civil or any other field. It includes all forms of discrimination, including denial of reasonable accommodation”.
Der Gleichheitsbegriff gehe hier also sehr weit, so Wrase. So berücksichtige substantielle (materielle) Gleichheit sowohl die gegenwärtigen Strukturen als auch vergangene Benachteiligungen und fordere eine systemische Anpassung.
Gleichheitskonzepte im Wandel
Um die Bedeutung und das Innovative dieser Gleichheitsdefinition angemessen würdigen zu können, veranschaulichte Dr. Wrase die Entwicklung des Gleichheitskonzeptes im vergangenen Jahrhundert. So hätte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die staatsbürgerliche Gleichheit gegolten, im Rahmen derer es gleiche Behandlung nur im Rahmen geltender Gesetze gab. Dem folgte nach Ende des Zweiten Weltkrieges die formale Gleichheit im Sinne eines Menschenrechtes. Zentral war hier das Differenzierungsverbot, insbesondere aufgrund von Rasse, Herkunft und Geschlecht, kurzum die Gleichheit gegenüber dem Gesetz. Während der Gleichberechtigungs- beziehungsweise Gleichstellungsbewegung hätte die formal-materielle Gleichheit vorgeherrscht, die sich insbesondere in dem Verbot mittelbarer (faktischer) Diskriminierung niederschlug. Grundgedanke war hier, dass durch Regelungen, die die spezifische Lebenssituation nicht berücksichtigen, keine wirksame Gleichheit erzeugt werden kann. Mit der UN-BRK sei man nun an dem Punkt der materiellen Gleichheit. Das wiederum hieße, exkludierende Systeme müssten umgestaltet werden und wenn diese Umgestaltung unterlassen werde, komme das Diskriminierung gleich. Es gehe also um die Gleichheit innerhalb der Sozialsysteme, nicht durch Maßnahmen außerhalb der Systeme, die der Verschiedenheit Rechnung trügen – wie das beispielsweise im Fall der Förderschulen der Fall sei. Mit dem Ansatz der Umgestaltung bestehender Systeme gehe Inklusion deutlich über formale Gleichbehandlung hinaus und müsse dazu führen, dass existierende Prozesse wie zum Beispiel arbeitsorganisatorische Abläufe, hinterfragt würden.
Welche Maßnahmen die UN-BRK nun vorsieht, um Diskriminierung zu verhindern, führte Dr. Wrase zum Schluss seines Vortrages aus. An dieser Stelle ging er näher auf den Art. 24 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 BRK ein. So sei hier beispielsweise festgeschrieben, dass Menschen mit Behinderung nicht vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden dürfen, Zugang zu inklusiven, qualitativ hochwertigen und kostenfreien Grundschul- und weiterführender Bildung haben und den die benötigte Unterstützung erhalten sowie angemessene Einrichtungen entsprechend der individuellen Erfordernisse vorgehalten werden müssen. Darüber hinaus müssen individuelle Unterstützungsmaßnahmen in Bereichen vorgehalten werden, die der Steigerung der akademischen und sozialen Entwicklung dienen.
Dr. Wrase schloss seinen Input damit, dass auch wenn die UN-BRK hauptsächlich Auswirkungen auf die Inklusion innerhalb des Bildungssystems habe, sie dennoch den Blick für Inklusion als solche entscheidend weite.
Der Input von Dr. Michael Wrase zum Download
Seite 1: Netzwerkversammlung 2014
Seite 2: Dr. Michael Wrase: Inklusion als (Menschen-)Recht?!
Seite 3: Dr. Sigrid Arnade: Die UN-BRK aus der Perspektive der Zivilgesellschaft
Seite 4: Prof. Dr. Andreas Eckert: Lebenslagen von Familien mit einem Kind mit einer Behinderung
Seite 5: Abschließende Diskussion im Plenum