Berlin, 18.03.2021 | Knapp 50 Teilnehmende aus den Mitgliedsorganisationen des Bundesforums Familie kamen am 18. März 2021 digital zum zweiten Fachforum der Themenperiode „Familie, Wohnen und kommunale Infrastruktur“ zusammen. Im Fokus diesmal: „Gutes Wohnen für Familien – eine Aufgabe für Staat und Zivilgesellschaft“. Die Wohnungsnot von Familien, vor allem ausgelöst durch steigende Mieten und Immobilienpreise, ist ein akutes Thema. Die Verdrängung aus einzelnen Stadtvierteln ist für Familien oft besonders problematisch: Unter anderem sind sie auf eine gewisse Infrastruktur angewiesen und sie werden aus ihrem sozialen Umfeld herausgeholt. Gleichzeitig verbleiben ältere Menschen häufig in ihren angestammten, aber ungeeigneten Wohnungen, weil ein Umzug und die meist höhere Miete für eine kleinere Wohnung für sie nicht finanzierbar sind. Da der soziale Status und gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten unter anderem davon abhängt, wo und wie wir wohnen, wird (gutes) Wohnen oft als Grundrecht verstanden. Aber was heißt das konkret? Welche Herausforderungen haben Familien in verschiedenen Lebensphasen auf dem Wohnungsmarkt? Welche Rollen können Staat und Zivilgesellschaft bei der Lösung dieser Probleme spielen? Das grundlegende Ziel des Fachforums war es, zu erörtern, welche Rahmenbedingungen es braucht, um adäquaten und bedarfsgerechten Wohnraum für alle Familien zu sichern. Nach einem einleitenden Impulsvortrag hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit mit Expert:innen in Break-Out-Rooms zu drei unterschiedlichen Schwerpunktthemen ins Gespräch zu kommen.
Impulsvortrag „Wie stellt sich die aktuelle wohnungspolitische Lage von Familien dar?“
Zu Beginn des Fachforums führte Dr. Gerd Kuhn (urbi-et, Tübingen) in seinem Impuls in die aktuelle wohnungspolitische Lage von Familien ein. Er unterstrich, dass Familien momentan – vom Baukindergeld einmal abgesehen – viel zu wenig Relevanz in wohnungspolitischen Debatten hätten und diesbezüglich unbedingt ein Paradigmenwechsel stattfinden müsse. Einerseits müsse die Quantität von verfügbarem und bezahlbarem Wohnraum für Familien deutlich erhöht werden, andererseits müsse ein Augenmerk auf die Qualität gelegt werden, sodass nicht nur irgendein Wohnraum, sondern vor allem auch mehr familiengerechter Wohnraum entstehen bzw. erhalten bleiben könne. In einem historischen Abriss erläuterte Kuhn, wie in den 1950er und 1960er Jahren Wohnungspolitik ein wichtiger Teil von Familienpolitik gewesen sei: in den 1950ern noch durch die intensive Schaffung von sozialem Wohnungsbau, und ab den 1960ern zusätzlich mit einer Förderung von Eigentum und Eigenheimen für Familien. Während Familienpolitik heutzutage leider immer weniger den Wohnungsmarkt im Blick hätte, herrsche in den wohnungspolitischen Maßnahmen, die es in Bezug auf Familien gebe, vielfach das Familienbild der 1950er vor, z.B. würden multilokale Lebensformen nicht berücksichtigt. Insgesamt führe all dies zu einer Überbelegung von Wohnungen und einem „Lock-In-Effekt“, vor allem für junge Familien. Als enormes Problem skizzierte Kuhn die quantitative Versorgung mit sozialem Wohnungsbau, da jährlich deutlich mehr Sozialwohnungen aus der „Bindung fielen“ (ca. 43.000 Wohnungen) als nachgebaut werde (ca. 25.000 Wohnungen). Habe es in den 1980ern noch 4 Millionen und 2002 noch 2,47 Millionen Sozialwohnungen gegeben, seien dies 2020 nur noch 1,13 Millionen gewesen. Ideen, wie politisch aus der Wohnungskrise herauszufinden sei, gebe es mittlerweile einige, diese seien jedoch teils auch umstritten, weil sie oftmals den Interessen von Immobilienkonzernen zuwiderliefen. Kuhn erwähnte das Berliner Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“, welches vorsehe, Konzerne mit über 3000 Wohneinheiten zu enteignen, den Berliner Mietendeckel, das Mietenstopp-Volksbegehren aus Bayern, Mietmoratorien ebenso wie Ansätze der „Neuen Gemeinnützigkeit“ sowie dem „Neuem Bodenrecht“.
Kuhn unterstrich weiterhin, dass neben dem quantitativen Mangel an bezahlbarem Wohnraum die qualitative Ausgestaltung des Familienwohnens defizitär sei; hier bedürfe es dringend wohnungspolitischer Korrekturen. Es sei dringend notwendig, die Förderkriterien an die sozialen Realitäten von Familien anzupassen und somit auch bei der qualitativen Ausrichtung die verschiedenen Familienformen und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse angemessen zu berücksichtigen, z.B. durch ein verstärktes Angebot von flexiblen Cluster-Wohnungen für Familien. Zudem müssten die Sozialbindungen langfristiger bzw. dauerhaft Bestand haben, um genügend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu halten. Kuhn gab einen umfassenden Einblick in die historische Entwicklung des Wohnungsbaus und die zunehmend weniger familienorientierte Wohnungsbaupolitik und machte deutlich, dass genau dies wieder verändert werden müsse: Familien müssten wieder viel stärker in den Fokus der Wohnungspolitik rücken – wenn dies auch in unterschiedliche lokale Handlungsansätze resultieren könnte, da die Herausforderungen sich teils auch regional stark unterschieden.
Im direkten Anschluss wurde Kuhns Impulsvortrag durch Dr. Patricia Arndt aus der Ad-Hoc-AG im Bundesforum Familie kommentiert. Sie merkte an, dass während Wohnungs- und Familienpolitik in früheren Dekaden durchaus zusammen gedacht wurde, sich dies zunehmend auseinanderentwickelt habe, was es dringend zu ändern gelte – auch wenn Wohnen immerhin im 9. Familienbericht als Themenfeld erwähnt werde. Familien – in all ihrer Vielfalt und in Anbetracht des stetigen gesellschaftlichen Wandels – müssten wieder zentral in Wohnungs- und Baupolitik sowie schon in der Architekt:innenausbildung mitgedacht werden. Weiterhin gelte es, Familien nicht nur in einer Lebensphase, sondern über ihren gesamten Lebenszyklus in den Blick zu nehmen.
In der anschließenden Diskussion der Teilnehmenden im Plenum wurde unterstrichen, dass Wohnen weitaus mehr sei, als die Wohnung oder das Haus, in dem eine Familie wohne. Es sei vielmehr ein Netzwerk an Strukturen und Angeboten, die die Qualität des Wohnens fundamental bedingten – daher müsse die Diskussion um die qualitative Ausgestaltung von Wohn- und Sozialraum in den Quartieren verstärkt werden. Beispielsweise entstünden aufgrund von Multilokalität von Familien immer mehr Engpässe hinsichtlich der Care-Arbeit innerhalb der Familien, dies könne zumindest teilweise durch ein gutes nachbarschaftliches Netzwerk aufgefangen werden. Auch wurde gefordert, intensiver über Möglichkeiten nachzudenken, Mehrgenerationenwohnen sowie Wohnungstausch zu fördern, sodass Familien in den unterschiedlichen Lebenslaufzyklen adäquaten bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung hätten. Die Teilnehmenden fragten kritisch, warum immer weniger in sozialen Wohnungsbau investiert werde, wo doch gerade belastete Familien hiermit unterstützt würden.
Drei parallelstattfindende Expert:innengespräche
Familiengerechtes Wohnen – ein marktwirtschaftliche Perspektive
Prof. Dr. Michael Voigtländer, Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte am Institut der deutschen Wirtschaft, vertiefte im ersten Expert:innengespräch die marktwirtschaftliche Perspektive auf Familien auf dem Wohnungsmarkt. Er legte dar, dass vor allem der Wohnungsneubau in den Städten gefördert werden müsse, um der Nachfrage gerecht zu werden sowie, dass Familien der Zugang zu Wohneigentum durch adäquate Förderungen und Instrumente erleichtert werden solle. Die Sozialpolitik müsse sich verstärkt an den sich wandelnden Bedürfnissen von Familien orientieren. Die Infrastruktur im Umland von Städten müsse ausgebaut werden, um die Attraktivität des ländlichen Raums für Familien zu vergrößern. Hierbei müsse sowohl die Infrastruktur vor Ort sowie die Anbindung an zentrale Knotenpunkte ausgebaut werden.
Angemerkt wurde u.a., dass das Baukindergeld zwar Wirkung zeige, jedoch mit 10 Mrd. Euro zu teuer sei. Gegebenenfalls könnten die Mittel mit anderen Maßnahmen zielgerichteter und effektiver ausgegeben werden. Seit 2010 sei ein starker Mietenanstieg zu verzeichnen, die Wohnkostenbelastung im Gegenzug bleibe zumindest dort relativ konstant, wo höhere Löhnen auf niedrige Bestandsmieten träfen – nicht jedoch bspw. bei ALG-2-Empfänger:innen. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass Sozialwohnungen ein gutes Mittel seien, um belastete Familien zu unterstützen. Derzeit seien diese jedoch häufig falsch belegt. Voigtländer schlug vor, Mietverträge in Sozialwohnung zu befristen und die Bedürftigkeit alle fünf Jahre zu prüfen, sodass der Zugang zu Sozialwohnungen zielgerichteter möglich sei. Ein weiteres Problem, welches den Wohnungsmangel vor allem in Städten verstärke, sei die Nutzung von Wohnungen als Ferien- oder Zweitwohnungen. Diese Wohnungen fehlten auf dem Markt, zudem trügen die Besitzer:innen nicht zu einem lebendigen Stadtleben bei. Intensiv diskutiert wurde anschließend die Frage von Mietobjekt versus Eigentum. Voigtländer legte am Beispiel von Großbritannien dar, warum ein ausgewogener Anteil von Miete und Eigentum zusammen mit verstärkten Neubau die Wohnungskrise aufhalten könne. Eine Wohneigentumsquote von 50-60% sei günstig, in Deutschland liege diese derzeit bei 40%. Sie sei seit 2010 nicht mehr gestiegen, obwohl die derzeitig niedrigen Zinsen ein Anreiz zum Erwerb von Eigentum darstellen könnten. Jedoch seien die Kosten von Bauland und Bau im Vergleich ebenfalls stark gestiegen. Wegen niedriger Zinsen sei der Erwerb von Wohneigentum gerade vielerorts günstiger als zu mieten, jedoch fehle oftmals gerade jüngeren Menschen in der Familien(gründungs)phase das Startkapital. Dies bedeute, dass der Eigentumserwerb meist nur für diejenigen, die Kapital erbten, möglich sei, was sozialen Sprengstoff berge. Lösungen, um den Eigentumserwerb auch ohne Erbschaft zu ermöglichen, seien die Gewährung von Nachrangdarlehen und Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer. Die Förderung von Eigentum sozial verträglich zu gestalten, sei insgesamt sehr schwierig, daher müssten sowohl Instrumente, die den Mietmarkt regulierten, als auch Instrumente für die Finanzierung von Eigentum entwickelt und gefördert werden. Die Grundsteuer könne durch die Einführung einer Bodenwertsteuer reformiert werden. Darüber hinaus wurde angemerkt, dass die Erschließung von Bauland immer auch aus ökologischer Perspektive zu betrachten sei.
Wohnungslosigkeit von Familien
Im zweiten Expert:innengespräch erörterten Sarah Lotties & Joachim Krauß von der BAG Wohnungslosenhilfe den aktuellen Problemkomplex der Wohnungslosigkeit von Familien mit den Teilnehmenden. Die Referent:innen legten in ihrem Kurzimpuls dar, dass Wohnungslosigkeit von Familien kein Randphänomen mehr sei, sondern dass mittlerweile viele Familien die Hilfsangebote der Beratungsstellen aufgrund von (drohender) Wohnungslosigkeit in Anspruch nähmen. Wohnungslosigkeit von Familien würde jedoch häufig viel zu spät erkannt, da Familien oftmals zunächst auf ihre Hilfsnetzwerke (Familien und Freundeskreise) zurückgreifen würden und bei diesen unterkämen. Weiter ergänzten sie, dass Familien häufiger auf Hilfen zurückgriffen als Alleinlebende, was grundsätzlich dafür spräche, präventive Hilfen auszubauen, sodass Familien gar nicht erst in die Lage gerieten, wohnungslos zu werden.
In der anschließenden Diskussion mit den Teilnehmenden wurden unterschiedliche Handlungsfelder identifiziert, die dazu beitragen könnten, Familien vor der Wohnungslosigkeit zu bewahren. Die Gesellschaft müsse grundsätzlich für das Thema Wohnungslosigkeit stärker sensibilisiert werden, sodass das stereotypische Bild eines zottligen, alkoholkranken Obdachlosen aus den Köpfen der Menschen verschwinde. Denn Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit sei längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Präventionsketten wie sie beim Kinderschutz angewandt würden, könnten auch dazu beitragen, Wohnungslosigkeit frühzeitig zu erkennen und dem früh entgegen zu steuern. Neben der Stärkung präventiver Maßnahmen müssten die Unterstützungsinstanzen besser vernetzt werden, sodass die häufig multiplen Gründe für die Problemsituation angegangen werden könnten. Beratungsstellen müssten außerdem die Möglichkeit haben, multilingual zu beraten, bzw. Dolmetscher:innen hinzuziehen zu können.
Ergänzend hingewiesen wurde auf die Erkenntnisse des Online-Fachgesprächs „Wohnungslosigkeit von Familien im europäischen Vergleich“, welches das Bundesforum Familie am 03. Dezember 2020 mit Expert:innen aus Finnland, Irland und Deutschland durchgeführt hatte.
Bildschirmpräsentation „Familien in Wohnungsnotfallsituationen“ der BAGW (zum Download)
Treiber und Konsequenzen der Wohnstandortwahl von Familien
Dipl. Ing. Ricarda Pätzold, Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Urbanistik stellte im dritten Expert:innengespräch Treiber und Konsequenzen der Wohnstandortwahl von Familien vor. In der Diskussion mit den Teilnehmenden kristallisierte sich heraus, dass Wohnraum der Finanzspekulation entzogen werden müsse, um Familien den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen. In der Diskussion wurde die Aussage von Dr. Kuhn bestätigt, dass vor allem auch die Qualität von Wohnraum in den Blick genommen werden müsse. Derzeit stehe zu wenig familiengerechter Wohnraum zur Verfügung. Hierbei sei nicht nur auf den Wohnraum an sich, sondern auch auf die Umgebung zu achten. Thematisiert werden sollte zum Beispiel die Frage, wie viele Autos in Städten erlaubt werden sollte. In dem Kontext wurde auch diskutiert, dass Wohnraum für Familien in den Innenstädten immer weniger attraktiv oder bezahlbar sei, und diese entsprechend an den Stadtrand bzw. in Vorstädte („Speckgürtel“) zögen. So verschwänden Familien zunehmend aus den Innenstädten, was gesamtgesellschaftlich problematisch sei. Zudem seien auch die Familien häufig nicht zufrieden mit dem Wegzug aus der Stadt, der ihnen in gewisser Weise von den Umständen auferlegt sei. Innenstädte müssten also eher so (um-)gestaltet werden, dass die Gemeinschaft in den Quartieren gefördert werde und durch mehr Grün und mehr Verkehrsberuhigung attraktiver für Familien werde. Im ländlichen Raum hingegen müsse das Bewusstsein für die Bedarfe junger Familien sowie die Lebensverlaufsperspektive gefördert werden, sodass die Infrastruktur bedarfsgerecht für junge Familien sowie Senior:innen gestaltet wird. Auch wurde bestätigt, dass Quartiere sowie Kommunen verstärkt eine homogene Anwohner:innenschaft anziehe und so unter anderem die Schere zwischen arm und reich verstärkt werde. Hier müsse die Perspektive stärker auf sozialer Heterogenität liegen.
Abschließende Kurzvorstellung der Diskussionen im Plenum
In einer abschließenden Runde stellten Mitglieder der Ad-Hoc-AG die jeweiligen Diskussionen, die in den Break-Out-Rooms stattgefunden hatten, im Plenum vor. Aus allen drei Gruppen wurde verstärkt darauf verwiesen, dass der Markt die angesprochenen Probleme nicht lösen kann und wird und somit Instrumente entwickelt werden müssten, die den Markt entsprechend regulierten. Damit müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, um allen, insbesondere sozioökonomisch benachteiligten Menschen einen guten Zugang zum Wohnungsmarkt zu ermöglichen und sozial- und umweltverträglichen Neubau zu fördern. Vielfach wurde erwähnt, dass vor allem in die Schärfung des Bewusstseins sich wandelnder Bedürfnisse von Familien investiert werden müsse und dass diese im Wohnungsmarkt sowie in der Qualität des Wohnens und in Beratungsangeboten sich widerspiegeln müssten.