„Zwischen Zeitgeist und Hilflosigkeit: Wertorientierte Erziehung in der Kinder- und Jugendhilfe“ in Kooperation mit der AGJ
Auf dem 13. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag in Essen luden das Bundesforum Familie und die Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe (AGJ) am 20. Juni 2008 gemeinsam zum Fachforum „Zwischen Zeitgeist und Hilflosigkeit: Wertorientierte Erziehung in der Kinder- und Jugendhilfe“ ein. Impulse für die Diskussion gaben Prof. Dr. Sabine Andresen, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Bielefeld und Ulrike Thiel, Leiterin des Kinder- und Jugendhilfeverbundes Berlin-Süd der EJF Lazarus gAG.
Norbert Hocke, Sprecher des Bundesforums Familie, führte in das Thema ein. Im Spiegel der öffentlich-medialen Wahrnehmung seien die Lebenslagen Kindheit und Jugend in steigendem Maße mit negativen Attributen verknüpft: übermäßiger Medienkonsum, mangelhaftes Gesundheitsbewusstsein, fehlendes Bildungsinteresse, Verantwortungslosigkeit, fehlender Gemeinsinn, von Gewaltanwendung geprägte Interaktionsmuster, defizitäre Regelaffinität u. v. m. Geradezu reflexartig ertöne hier der Ruf an die Erziehungs- und Bildungsinstanzen, die Vermittlung traditioneller Werte und Tugenden verstärkt in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zu stellen.
Die nachwachsende Generation sieht sich mit deutlich komplexer werdenden Lebens-, Lern- und Arbeitsweltbedingungen konfrontiert. Starthilfe in ein selbstbestimmtes Leben zählt zu den grundlegenden gesellschaftlichen Pflichten. Erschöpft sich eine Neuformulierung dieser Bringschuld aber in einem schlichten „Lob der Disziplin“? Immunisiert möglichst früh einsetzende Wertevermittlung gegen die vielfältigen Verlockungen einer sich stetig pluralisierenden Wertelandschaft? Wo liegen die Ursachen für die aktuell geführte Debatte über wertorientierte Erziehung? Welche Konsequenzen hat das für die Praxis?
Ulrike Thiel sprach sich gegen einfache und schnelle Lösungen aus. Sie wies darauf hin, dass Werte durch Menschen vermittelt würden. Beziehungen bildeten die Grundlage, auf der Werte und Haltungen weitergegeben würden. Eine erfolgreiche Vorbildfunktion sei von wertschätzender Haltung geprägt. Frau Thiel unterstrich die Bedeutung der Reziprozität in der Erziehung: „Wenn wir wollen, dass die uns anvertrauten Menschen andere Menschen respektieren und achten, müssen wir ihnen ebenfalls mit Respekt und Achtung begegnen.“
Auch Prof. Dr. Sabine Andresen wies den verkürzten Rückgriff auf ein nie da gewesenes „Goldenes Zeitalter“ zurück und erinnerte daran, dass der Wertediskurs auch ein Machtdiskurs sei. Es gehe um ein nicht einzulösendes, aber dennoch ersehntes „Versprechen nach Eindeutigkeit.“ Ferner nahm sie direkt zu Berhard Buebs Buch „Lob der Disziplin“ Stellung: „Bernhard Bueb sagt auch: Es müsse um die unhinterfragte Anerkennung von Autorität gehen, und damit habe ich ein Problem. Weil die unhinterfragte Anerkennung von Autorität kein einziges Erziehungsproblem tatsächlich löst. Er gibt keine Antwort auf konkrete Erziehungsfragen.“ Diese Position fand viel Zuspruch unter den zahlreichen Zuhörenden.