Rund 40 Teilnehmende aus den Mitgliedsorganisationen des Bundesforums Familie kamen am 17. Oktober 2023 im Centre Monbijou in Berlin Mitte zusammen. Inhalt des Netzwerktreffens war die abschließende Reflexion der Themenperiode 2022/23 sowie die Wahl des neuen Schwerpunktthemas für 2024/25.
Elena Gußmann (Bundesforums Familie) eröffnete die Veranstaltung mit einem Rückblick auf die vergangene Themenperiode. Politisch bewegte und beschleunigte Zeiten würden es vielen „leiseren“, aber nicht weniger wichtigen Themen schwermachen, ausreichend in Politik und Gesellschaft wahrgenommen zu werden. In der Arbeit von Unterstützungsstrukturen für Familien seien es aber gerade diese weniger schnellen und weniger lauten Aspekte wie Partizipation, Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit, die den Unterschied machten. Für diese Hartnäckigkeit und Geduld erfordernden Themen brauche es mehr Aufmerksamkeit, aber auch Wissen.
Die inhaltliche Bearbeitung im Rahmen der Themenperiode sei durch die enorme Bandbreite und Heterogenität der Familienunterstützung anspruchsvoll gewesen. Im Laufe der zwei Jahre seien die Mitglieder des Bundesforums Familie mit drei Fachforen und zwei zusätzlichen Workshops zum Thema „Empowerment“ und „Sprachsensibilität“ dennoch zu einem guten fachlichen Austausch gelangt. Ein Anliegen des abschließenden Netzwerktreffens sei es, den zurückliegenden Diskussionsprozess mit zwei netzwerk-externen Sichtweisen zu betrachten, weshalb je ein*e Vertreter*in aus der Volkswirtschaft und der politischen Praxis eingeladen wurde. Die im Laufe der Themenperiode erarbeiteten zentralen Thesen könnten durch diese Blickwinkel nochmals überprüft und gegebenenfalls ergänzt werden, um die formulierte politische Argumentation zu stärken.
Die Geschäftsstelle des Bundesforums bedankte sich bei den beteiligten Vertreter*innen der Ad-Hoc-AGs für die engagierte Vor- und Nachbereitung der Veranstaltungen. Die gesammelten Ergebnisse des gemeinsamen Prozesses werden bis voraussichtlich Anfang des Jahres 2024 in Form einer Publikation veröffentlicht und an alle Mitgliedsorganisationen verschickt.
Impuls: Volkswirtschaftliche Perspektive auf die präventiven Effekte der Familienunterstützung
Die volkswirtschaftliche Perspektive auf die präventiven Effekte der Familienunterstützung stellte Dr. Wido Geis-Thöne vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) dar. Er betonte, dass Beratung, Begleitung und spezifische Hilfen für Familien in Konfliktsituationen darauf zielten, das Wohlergehen, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit von Eltern zu erhalten und eine gute Entwicklung von Kindern zu ermöglichen. Dieser präventive Ansatz hätte nicht nur für die Familien individuell positive Folgen, sondern führe auch volkswirtschaftlich langfristig zu Einsparungen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozial- und Arbeitsmarktsystem führe. Beispielsweise würden Kinder, die psychisch und physisch gesund seien, im Bildungssystem zurechtkommen, ein stabiles soziales Netzwerk aufbauen, sich später besser am Arbeitsmarkt positionieren und Arbeits- und Innovationskraft aufbringen. Gelinge langfristige positive Entwicklung der Kinder, würden auch deren Kinder und Enkelkinder davon profitieren.
Problematisch für die politische Entscheidungsfindung seien jedoch vor allem zwei Faktoren: Zum einen seien diese ökonomischen Effekte nur schwer mit konkreten Zahlen unterlegbar. Ein Grund dafür sei, dass sich familienpolitische Maßnahmen auf Eltern und deren Beziehungen innerhalb und außerhalb der Familie auswirkten. Gerade weil Familien als integrales Element der Gesellschaft so vernetzt seien, habe die Forschung hier Schwierigkeiten. Zudem seien Unterstützungsleistungen oft an Schnittstellen von Familien- und anderen Politiken und könne daher nicht eindeutig zugeordnet werden. Ebenso sei nicht messbar, wie die Entwicklung eines Kindes / einer Person ohne die Inanspruchnahme einer familiären Unterstützungsleistung erfolgt wäre. Trotz dieser starken Einschränkungen könnten dennoch einzelne fiskalischer Effekte familienpolitischer Leistungen ermittelt werden.
Als zweiten wichtigen Punkt für die zu geringe Bereitschaft für entsprechende Investition in präventive Unterstützungsstrukturen hob Geis-Thöne hervor, dass es in der Tagespolitik eine dominierende Gegenwartspräferenz und die auf die Ausgaben im jeweiligen Haushalt verengte Perspektive gebe: Ausgaben für präventive familienunterstützende Maßnahmen würden zum einen in der Gegenwart anfallen und zum anderen überwiegend von den Kommunen getragen. Von zukünftigen Mehreinnahmen bzw. reduzierten Ausgaben würden jedoch oft die Sozialversicherungen und der Bundeshaushalt profitieren. Die Mittel stünden damit den Kommunen selbst nicht wieder zur Verfügung. Mit dem Wissen um diese Effekte müsse man sich um passende Ausgleichsmechanismen bemühen.
Geis-Thöne betonte zusammenfassend, dass die positiven Effekte von präventiver Familienunterstützung zwar vorhanden, jedoch nicht ausreichend quantifizierbar seien. Insofern seien qualitative Argumentationen und die Beforschung ganz konkreter Maßnahmen umso relevanter.
Impuls: Implementierung präventiver familienunterstützender Maßnahmen aus der Perspektive der politischen Praxis – das Beispiel Berlin
Marianne Burkert-Eulitz, Sprecherin für Familie und Bildung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, stellte den Prozess zur Entwicklung des Berliner Familienfördergesetzes vor, das zahlreiche präventive Maßnahmen beinhalte. Zu beachten sei jedoch, dass Berlin durch seine Funktion als Stadtstaat Vorteile gegenüber Flächenländern habe. Zudem habe Berlin eine hohe Zuzugsquote, wodurch Berlin von der präventiven Unterstützungsarbeit profitiere, die woanders geleistet wurde.
Burkert-Eulitz beschrieb, dass Anfang der 2000er Jahre weder die Familien noch der familiäre Sozialraum in die Jugendhilfe einbezogen worden seien und die Rechtsansprüche auf Jugendhilfe oft schwer umsetzbar waren. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sei damals eine bezirksweite Arbeitsgemeinschaft gegründet als auch Qualitätszirkel zwischen Jugendamt und einzelnen Einrichtungen initiiert worden. Insgesamt seien ca. vier Mio. Euro in den Bereich der Familienunterstützung investiert worden.
Die Herausforderung sei gewesen, diese erfolgreichen Ansätze auf die Landesebene zu übertragen – auch, weil die Bedarfs- und Haushaltslage der Bezirke sehr heterogen sei. Dennoch sei ein Familienfördergesetz partizipativ erarbeitet worden, das unter anderem Anreize für Bezirke vorsieht, die sich selbstständig um die Umsetzung zu bemühen. So würden beispielweise in Kreuzberg Familienservicebüros bei Hort- und Kita-Anträgen unterstützen, in Mitte würde zu Fragen zur Familienkasse beraten. In das Gesetz einbezogen seien auch weitere Bereiche wie Elternbegleitung und Stadtteilmütter. Einige Familienzentren seien an Grundschulen angesiedelt. Um den unterschiedlichen Ausgestaltungen gerecht zu werden, sei 2020 ein „Flexibudget“ eingeführt worden, mit dem bedarfsorientierte Schwerpunktsetzungen auf Bezirksebene finanziert werden können.
Burkert-Eulitz hob hervor, dass das Familienfördergesetz in der öffentlichen Wahrnehmung wenig präsent gewesen sei, so. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – werde es fraktionsübergreifend mitgetragen. Auch aktuell sei es Ziel, Regelungen, die zugleich verbindlich und flexibel seien, im Gesetz zu verankern. So soll unabhängig von den jeweiligen haushaltspolitischen Bedingungen dauerhaft die Stärkung von Familien finanziert werden.
Diskussion
In den Diskussionen wurde betont, welche sozialen und finanziellen Argumente hilfreich sein könnten, eine frühzeitige Familienunterstützung zu etablieren. Ein Beispiel seien die hohen Kosten, die bei einer Inobhutnahme bei Kindeswohlgefährdung entstehen würden. Hervorgehoben wurde, dass je jünger die Familien seien und je früher diese kontaktiert würden, desto offener seien sie in der Annahme von unterstützenden Angeboten. Infrage gestellt wurde, ob eine kommunale Aufsichtsbehörde, die eine Umsetzung des gesetzlichen Auftrags sicherstellt, sinnvoll sein könnte. Eingeworfen wurde, dass unklar sei, wer die Rechtsansprüche einklage. Fraglich sei auch, wie mit der Einklagbarkeit umgegangen werden sollte, wenn entsprechende finanzielle Mittel fehlten. Andererseits würden Mittel die beim Bund bereitstünden, durch die Länder und Kommunen häufig nicht abgerufen. Das Beispiel Berlin sei positiv, durch die besonderen Voraussetzungen jedoch nicht einfach 1 zu 1 auf Flächenländer übertragbar. Als zentral wurde gesehen, wie sich die geteilte Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Kommunen auch in den Strukturen sinnvoller abbilden ließe. Betont wurde dabei, dass der Bund hier noch mehr als Partner für Länder und Träger auftreten solle.
Wahl des Schwerpunktthemas für 2024/25
Im zweiten Teil des Netzwerktreffens stand die Wahl des neuen thematischen Schwerpunktes im Mittelpunkt. Elena Gußmann stellte den Auswahlprozess vor: Im Vorfeld wurden mehr als 40 Themenvorschläge von den Mitgliedsorganisationen eingereicht. Diese wurden durch den Beirat des Netzwerktreffens gesichtet und geclustert. Dabei wurden Querschnittsfelder identifiziert, die unabhängig von der Wahl bei jeder Thematik berücksichtigt werden sollten: 1) Armut, Ungleichheit und soziale Disparitäten, 2) Gesundheitliche Auswirkungen von Problemlagen, 3) Diversität von Familien und Intersektionalität, 4) Das Einnehmen einer selbstreflexiven Perspektive, 5) Bezug auf die europäische Ebene. Folgende vier Themenvorschläge wurden von Themenpatinnen aus den Mitgliedsorganisationen vorgestellt:
- Familien im Klimawandel
- Inklusion – Familiale Lebenszusammenhänge und ihre politische und gesellschaftliche Teilhabe
- Familien in der digitalen Welt
- Vereinbarkeit und Zeitpolitik: Sorgearbeit, Lohnarbeit, Ehrenamt
Nach einer Kleingruppenphase, in der alle Teilnehmenden jedes Thema kurz andiskutierten, wählten die Vertreter*innen den neuen Schwerpunkt: Familien im Klimawandel. Elena Gußmann verabschiedete sich von der Runde mit dem Ausblick, die zahlreichen Anregungen aus der Diskussion dazu zu nutzen, in Abstimmung mit dem Beirat einen spannenden Fahrplan für die neue Themenperiode zu entwerfen.
Fotos: Holger Agolph | AGF