„Familie und Flucht“ – für dieses Rahmenthema hatte sich die Netzwerkversammlung des Bundesforums Familie im Dezember 2015 ausgesprochen. Am 12. April trafen sich die Netzwerkpartner nun erneut im Centre Monbijou in Berlin, um den Fahrplan für die kommenden zwei Jahre zu konkretisieren. In dieser Themenperiode wird die Arbeit des Bundesforums stärker als in der Vergangenheit auf Veranstaltungen und Fachforen mit Ad-hoc-Arbeitsgruppen zu deren Vorbereitung und inhaltlichen Auswertung ausgerichtet sein. Dies hatte der Beirat vorgeschlagen, um die Arbeitsweise des Bundesforums der gesellschaftlichen Dynamik des Themenfeldes und dem hohen Bedarf der Mitgliedsorganisationen an Input und Austausch anzupassen.
Doch wo stehen die Mitglieder des Bundesforums beim Thema Familie und Flucht? Inwiefern ist die Arbeit der Verbände und Institutionen von den aktuellen Fluchtbewegungen betroffen? Vor welchen Herausforderungen stehen sie? Auf welche Erfahrungen können sie, kann das Bundesforum Familie zurückgreifen? Diese Fragen wurden im ersten Veranstaltungsteil der Auftaktveranstaltung behandelt. Fünf Vertreter_innen verschiedener Mitglieder des Bundesforums berichteten auf dem Podium exemplarisch aus ihren Organisationen.
Dr. Heidemarie Arnhold vom Arbeitskreis Neue Erziehung (ANE) legte dar, dass die Elternarbeit schon immer damit konfrontiert gewesen sei, dass Familien mit einem Migrationshintergrund besondere Bedürfnisse hätten, dass diese jedoch ganz unterschiedlich seien und man nicht von einer homogenen Gruppe ausgehen könne. Fluchterfahrung sei ebenfalls kein neues Thema, aber die Bedeutung habe in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Als kleiner Verein könne man ihm nicht an allen Stellen angemessen begegnen. Als größte Herausforderung nannte Arnhold die enorme Sprachenvielfalt. Um Familien über Unterstützungsangebote zu informieren, brauche man einheitliche Übersetzungen bestimmter sozialstaatlicher Begrifflichkeiten. Der ANE habe dafür ein internes Glossar entwickelt, damit die eigenen Handreichungen einheitlich seien. Andere Institutionen verwendeten jedoch teilweise andere Übersetzungen.
Sebastian Ludwig erläuterte, dass auch bei der Diakonie das Thema Flucht Konjunktur habe. Die Diakonie unterstütze geflüchtete Menschen durch verschiedenste Strukturen vor Ort wie spezielle Beratungsangebote zu Asylverfahren. Auch „reguläre“ Angebote wie Schwangerschaftskonfliktberatung oder Jugendhilfe würden zunehmend von geflüchteten Menschen genutzt. Im Diakonie Bundesverband werde zum Thema Flucht außerdem gezielt Lobbyarbeit betrieben. Familienbezug habe aus seiner Sicht vor allem das Thema Familienzusammenführung sowie die Bedingungen, unter denen Familien in Unterkünften zusammenleben. Hierzu habe die Diakonie eine gemeinsame Initiative mit dem BMFSFJ zu Schutzmaßnahmen in Einrichtungen vorangetrieben.
Das Paritätische Bildungswerk hingegen sei wiederum auf einer anderen Ebene mit dem Thema konfrontiert, nämlich in den Fortbildungen für Erzieher_innen, ergänzte Maria Rocholl. Diese seien außerordentlich herausgefordert, wenn es darum gehe, mit geflüchteten Familien umzugehen. Es sei zum einen eine Haltung vonnöten, die von Offenheit und interkulturellen Kompetenzen geprägt ist, zum anderen brauche es auch Kenntnisse über die spezifischen Bedürfnisse von geflüchteten Kindern, die eventuell traumatisiert seien, sowie über Unterstützungsangebote, auf die weiterverwiesen werden könne. All dies sei kaum zu gewährleisten in der derzeitigen Situation, in der nahezu alle Stellen überlastet seien und an allen Ecken und Enden Personal fehle. Hierin liege die nächste Herausforderung: Welche Aufgaben können an ehrenamtliches Personal übertragen werden? Was kann das Ehrenamt gut leisten, wozu braucht es Profis? Welche Begleitung brauchen beide Seiten?
Die Notwendigkeit von Begleitung und Supervision betonte auch Andrea Domke von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Die Mitarbeiter_innen der Beratungsstellen seien bei Familien mit Fluchterfahrung oft mit großem Leid konfrontiert, mit dem es umzugehen gelte. Da die Sprache das Medium der Beratung sei, liege in der Sprachvermittlung die größte Herausforderung. Hier gelte es flexibel zu sein, die drittbeste mögliche Lösung sei besser als gar keine Lösung. Sie teile ebenfalls die Erfahrung, dass die Gruppe der Geflüchteten keineswegs homogen sei. Dies sei stets im Hinterkopf zu behalten, um auf die spezifischen Bedürfnisse einer jeden Familie gezielt eingehen zu können.
Eine weitere Dimension, auf der Verbände mit dem Thema Familie und Flucht betroffen sein können, brachte Hiltrud Stöcker-Zafari vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf) ein. Bei ihnen gehörten häufig Verwandte der eigenen Verbandsmitglieder zur Gruppe der Geflüchteten. Die iaf biete für Geflüchtete Information, Beratung und Sprachvermittlung. Verbandsspezifisch seien hier die Themen Trennung und Eheschließung. Insgesamt stelle die iaf eine allgemeine Verunsicherung bei interkulturellen Fragen fest. Die notwendige Aufklärung sei ein „Fass ohne Boden“.
Im anschließenden Plenum wurde deutlich, wie breit das Themenfeld Familie und Flucht abzustecken ist. Aufgezeigt wurde unter anderem, dass es kaum Erkenntnisse dazu gebe, wie viele Geflüchtete mit Behinderung es gebe und wie auf deren Bedürfnisse in den Aufnahmeeinrichtungen eingegangen werde. Klar wurde, dass die jüngste Fluchtbewegung an keiner Organisation vorbeigegangen ist und sogar das Potenzial hat, einen Verband intern zu verändern. Eine Teilnehmerin berichtete beispielsweise, dass das Thema Flucht ihren Verband im letzten Jahr stark politisiert habe. Es habe sich nun im Verband eine Arbeitsgruppe „Gesellschaftspolitik“ gegründet, die sich inzwischen nicht mehr nur mit dem Thema Flucht, sondern auch mit den Themen Armut und Arbeit auseinandersetze. Der Verband habe zudem einen Pool an ehrenamtlichen Supervisoren und Coaches gebildet, um Ehrenamtliche in der Arbeit mit Geflüchteten zu stärken. Die Einschätzung des Podiums, dass eine solche Begleitung der Menschen, die mit geflüchteten Menschen arbeiten (sowohl ehrenamtlich als auch professionell), von enormer Bedeutung sei, wurde von mehreren Seiten bekräftigt.
Zuspruch erhielt auch der Vorschlag, den Blick darauf zu richten, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Die Fluchtthematik spalte das Land, deswegen sei es wichtig, sich mit so grundlegenden Fragen auseinanderzusetzen wie: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Was verbindet uns? In einer solchen konstruktiven Debatte gelte es auch, die Ressourcen und Potentiale in den Fokus zu rücken, die von den Zugewanderten mitgebracht würden. Konsens herrschte ebenfalls darüber, dass das Bundesforum dabei zu politischen Schlussfolgerungen gelangen solle.
Der zweite Veranstaltungsteil widmete sich der Frage, welche Teilaspekte des breiten Themenfeldes Familie und Flucht vom Bundesforum genauer zu diskutieren seien. Hierfür standen acht Stellwände zur Verfügung, um darauf die Unterthemen und konkreten Fragestellungen festzuhalten, zu denen sich die Teilnehmer_innen Veranstaltungen des Bundesforums wünschten. Der Beirat hatte im Vorfeld die Themenbereiche Arbeit & Qualifikation, Bildung, Gesundheit & Krankheit, Sprache, Trauma & Gewalt sowie Wohnen identifiziert, welche jeweils an einer Stellwand diskutiert werden konnten. Darüber hinaus standen zwei „Blankotafeln“ zur Verfügung, um Fragestellungen außerhalb dieser Themen zu erörtern. Es gab auf jeder Stellwand zudem die Möglichkeit, Expert_inn_en zu benennen sowie die Bereitschaft zur Mitarbeit an der Vor- und Nachbereitung der zu planenden Fachforen zu erklären, welche von den Teilnehmenden rege genutzt wurde. Besonders viel Andrang herrschte beim Thema Bildung, aber auch die „Blankotafeln“ für alle Fragestellungen, die sich nicht den sechs genannten Oberthemen zuordnen ließen, fanden viel Anklang. Hier wurde unter anderem über Rassismus und Diskriminierung lebhaft diskutiert. Die in diesem zweiten Teil der Veranstaltung entstandenen Poster dienten im Nachgang des Auftakttreffens dem Beirat als Grundlage für die Entscheidung, mit welchen Themen sich die kommenden Veranstaltungen des Bundesforums befassen werden. Die ersten beiden Fachforen sind für Herbst 2016 geplant und werden die Themen Bildungszugang und Wertebildung behandeln.