„Werte reflektieren und erlebbar machen! Wertevermittlung in frühen Jahren“ im November 2007 in Hannover
„Werte können nicht vermittelt werden, sondern müssen von jedem Kind durch eigene Aktivität gebildet werden“, betonte Dr. Christa Preissing auf der Auftaktveranstaltung „Werte reflektieren und erlebbar machen! Wertevermittlung in jungen Jahren“ am 22. November 2007 in Hannover.
Die beiden einführenden Referate von Dr. Christa Preissing von der Internationalen Akademie, Institut für den Situationsansatz (ISTA) der Freien Universität Berlin und Dr. Rainer Strätz vom Sozialpädagogischen Institut Nordrhein-Westfalen dienten als Grundlage, um in den anschließenden berufsspezifischen Workshops (Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege und Elternvertretung) über das eigene pädagogische Handeln zu reflektieren. Während Dr. Christa Preissing in das Thema einführte, ihr Verständnis von Bildung darlegte und hieraus die Wertebildung ableitete und ausführte, veranschaulichte Dr. Rainer Strätz anhand von Beispielen, welche Möglichkeiten Fachkräfte und Eltern zur Wertebildung in konkreten Situationen zur Verfügung stehen und wie sich unterschiedliches Verhalten bei Kindern auswirkt.
Werte müssen durch eigene Aktivität gebildet werden
Für Preissing und Strätz ist Bildung ein aktiver Prozess, denn ein Kind entdecke, erforsche und gestalte seine Welt durch eigenwillige Tätigkeit mit allen Sinnen vom ersten Atemzug an. Für sie sei Bildung nicht von Wertebildung zu trennen. Werte könnten nicht vermittelt werden, betonte Preissing, sondern müssten von jedem Kind durch eigene Aktivität gebildet werden. In dieser Aktivität wollten Kinder wertgeschätzt werden und diese Wertschätzung sei die wichtigste Quelle, aus der die Kinder neue Energie für ihren weiteren Bildungsprozess zögen. Wertebildung sei ohne diese Wertschätzung nicht denkbar.
„Kinder lernen nur das, was sie wollen, nicht das was sie sollen“, zitierte Preissing den Neurophysiologen Wolf Singer, denn Kinder wollten aus sich heraus etwas wollen, können und erfahren. Der Wunsch, sich anzustrengen und etwas zu leisten, Widerstände und Schwierigkeiten zu überwinden, werde von der Erwartung auf ein Glücksempfinden gespeist. Doch Wertebildung werde in der pädagogischen Praxis oft als Erziehung zum Verzicht, zur Begrenzung verstanden, die das Glücksempfinden ausschließe. Preissing betonte, dass das eigene Wollen und der Stolz auf die eigene Leistung vom Kind her gesehen Voraussetzung und nicht Barriere für Gemeinschaftsfähigkeit seien. Wertebildung sei dann Gewinn, wenn Gemeinschaftsfähigkeit nicht Unterordnung bedeute, sondern durch eigene Leistung zu einer Entwicklung in der Gemeinschaft beitrage. Grundbedingung sei hier allerdings, dass die eigenen Voraussetzungen und Möglichkeiten eines jeden Kindes in der Gemeinschaft einer Kita Platz hätten.
Für Strätz sind Werte auch wahre Unruhestifter, denn der Wunsch nach Frieden erfülle sich nicht, wenn man immer die Wahrheit sagt. Oder es stelle sich auch die Frage, ob man in einer ungerechten Welt Pazifist sein kann. Wenn man mit Kindern über Werte spreche, die hinter Handlungen stünden, würden sie für Kinder dann besonders erlebbar, wenn es „auf der Kippe“ steht, in Situationen, in den es ihnen vielleicht schwerfällt, sich wertgemäß zu verhalten. Dann hätten Kinder ein Recht auf einen kurzen Blick, der sagte, dass wir es bemerkt haben und uns darüber freuen – ohne lange darüber zu sprechen. Preissing ergänzte, dass für die Wertebildung die Konflikthandlung in der Kindergruppe wichtig sei. Denn hier werde ausgehandelt, was zählt, was in der Gemeinschaft Wert hat. Würden diese Aushandlungsprozesse durch den mächtigen Erwachsenen gestoppt, unterbrochen oder blockiert, indem die Konfliktregelung den Kindern aus der Hand genommen und vom Erwachsenen übernommen werden, werde auch die Wertebildung blockiert.
Mit den Kindern in den Dialog treten – Werte reflektieren
Das Beobachten und Dokumentieren – eine jüngst noch mal sehr in die Bildungsdiskussion in den Tageseinrichtungen für Kinder eingebrachte Frage – stellen für Preissing und Strätz vielfältige Chancen dar, denn hier biete sich die Gelegenheit, in einen intensiven Dialog mit den Kindern zu treten. Hier werde deutlich, welchen Wert die betreffenden Aktivitäten für das jeweilige Kind und welchen Wert die Erzieherin ihr beigemessen hätten. Doch hiermit seien auch Risiken verbunden, denn vielerorts herrsche die Annahme, die eigenen Bewertungen seien außen vor zu lassen. Das Gegenteil sei der Fall. Kinder hätten ein Recht auf die Bewertungen der Erwachsenen und ein Recht, sich damit auseinanderzusetzen – nicht als Vorschrift, sondern als Feedback.
Beide Referierende betonten die Wichtigkeit, authentisches Vorbild zu sein. Wertebildung zeige sich für Kinder aus unterschiedlichen Kulturen daran, wessen Sprache gehört und verstanden wird, wessen Erfahrung zählen, wessen Erleben in das Leben der Kita einbezogen werden, was ignoriert oder abgewertet wird und wer etwas wert ist. „Werte kann man nicht nicht vorleben“, so Strätz. Dies erfordere eine ständige Selbstreflektion sowie eine Reflektion im Team, mit Eltern und anderen Experten. Die Richtlinien für diese Selbstreflexion könnten folgende Prinzipien sein:
• Unantastbarkeit/Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens
• Recht auf Zugehörigkeit
• Individuelle Freiheit und Integrität
• Gleichwürdigkeit/Gleichheit aller Menschen
• Gleichberechtigung
• Solidarität mit Menschen in unterprivilegierten Situationen
• Verantwortlicher Umgang mit Tieren und Pflanzen und mit natürlichen Ressourcen
Auf diese Weise könne den Kindern allmählich und ohne pädagogischen Zeigefinger bewusst werden, dass und welche Wirkungen ihre Handlungen für sie selbst und ihre Gemeinschaft haben. Dies sei nicht nur eine wesentliche lernmethodische Kompetenz, sondern fördere vor allem das Lernen in Sinn- und Bedeutungszusammenhängen und damit die Bildung von Werten in einem doppelten Sinn.
Ein Bericht über die Tagung erschien in “Kinderzeit – Zeitschrift für Pädagogik und Bildung. Das didacta Fachmagazin“, 1/2008, Seite 7 unter dem Titel „Werte bilden“.