Den dritten und letzen Input an diesem Tag hielt Prof. Dr. Andreas Eckert von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich. Als Pädagoge beleuchtete er die Lebenslagen von Familien mit einem Kind mit Behinderung vor dem Hintergrund der UN-BRK. Zunächst ordnete er hierzu die Begriffe „Familie“ und „Behinderung“ im Zusammenhang mit der BRK ein. So hielt er fest, dass Behinderung ein sehr relativer Begriff sei, bei dem es um die Wechselwirkung zwischen Bedingungen, Hilfsangeboten und subjektiver Wahrnehmung ginge. Befasse man sich mit Familien mit Behinderung müsse die Ressourcenperspektive im Vordergrund stehen und nicht die Belastung, so würden sich die betroffenen Familien selbst zwar in einem „ständigen Spannungsfeld von besonderen Herausforderung und einem hohen Zufriedenheitserleben“ aber eben doch als „ganz normale Familie“ sehen. Dabei müsse des Weiteren beachtet werden, dass auch Familien mit Behinderung eine heterogene Gruppe seien – ebenso wie andere Familien auch – die sich nur in einem Kriterium, dem der Behinderung, glichen. Seine Einleitung rundete er schließlich mit der Erwähnung der Denkschrift der Bundesregierung zur BRK ab. Dort, so Prof. Dr. Eckert, würde explizit auf Familien eingegangen. Im Mittelpunkt stünde hier der Kooperationsgedanke zwischen Eltern und Fachkräften. Augenscheinlich wird dies beispielsweise an den Artikeln 7 und 23:
„Auch die Eltern sollen intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen werden. Dabei soll den besonderen Bedürfnissen der Eltern und Kinder Rechnung getragen.“
sowie Artikel 25:
„Die individuell erforderlichen Leistungen werden in Zusammenarbeit mit den Eltern in einem interdisziplinär entwickelten Förder- und Behandlungsplan zusammengestellt.“
Im zweiten Teil seines Vortrages stellte Prof. Dr. Eckert die Besonderheiten von Familien mit einem Kind mit Behinderung mit den Ressourcen der Familien und ihren Bedürfnissen gegenüber. So entstünden Besonderheiten insbesondere in der Alltagsgestaltung je nach individueller Behinderung des Kindes sowie der Lebenssituation der Familie als Ganzes. Oft würden sich Eltern zudem mit unterschiedlichen Wertvorstellungen auseinandersetzen müssen. Denn häufig seien die in der Gesellschaft vorherrschenden Wertvorstellungen mit einem Kind mit Behinderung nicht erfüllbar und würden beispielsweise kollidieren mit denen auf Geschwisterkindern ohne Behinderung angewendeten Werten. Nach seiner Erfahrung führt diese Auseinandersetzung oft zu einer Weiterentwicklung der Eltern. Eine weitere Besonderheit sei die Veränderung sozialer Beziehungen. Dabei sei zu bedenken, dass auch hier die Heterogenität der Familien zum Tragen käme und nicht alle Eltern gleich handeln würden. Vielfach jedoch würden sich die sozialen Beziehungen dahingehend verändern, dass Eltern den Kontakt zu anderen Familien in ähnlichen Situationen suchen würden, da man in diesem Umfeld weniger erklären müsse. Anhand dieser Auflistung der Besonderheiten werde eines deutlich, so Prof. Dr. Eckert: Es gebe bei Familien mit Behinderung nicht per se mehr Belastungen wohl aber ein erhöhtes Potential möglicher Belastungen. Für die Familienförderung und die Unterstützung von Familien mit Kindern mit Behinderung sei nun eine Analyse der vorhandenen Ressourcen besonders wichtig. Hier stellte er eine Auflistung von Ressourcen in der Bewältigung möglicher Belastungen von Retzlaff (2010) vor, anhand derer deutlich wurde, dass die Familien selbst eine zentrale Rolle hierbei spielen, beispielsweise seien der familiäre Zusammenhalt, die Zufriedenheit mit der Partnerschaft und die ausgeglichene Balance familiärer Bedürfnisse wichtige Ressourcen. Daneben käme es insbesondere auch auf die sozialen Unterstützungssysteme an. Letzter Punkt in diesem Dreiklang sind die Bedürfnisse von Eltern mit behindertem Kind, die es zu beachten gebe. Derer gibt es nach Prof. Dr. Eckert vier und zwar: Informationsgewinnung (zum besseren Verständnis, wenn zum Beispiel die intuitiven Erziehungskompetenzen nicht mehr greifen), Beratung (zentrale Ansprechpartner/innen), Entlastung (durch professionelle Angebote) sowie Kommunikation und Kontaktgestaltung im Zusammenspiel von Eltern und Fachkräften.
Familienorientierung in der Kooperation
Legt man dies nun einer familienorientierten Kooperation zwischen Eltern und Fachleuten zugrunde, ergeben sich nach Sarimski und anderen (2013) eine Vielzahl möglicher positiver Beiträge, zum Beispiel eine durch Vertrauen, Respekt, Ehrlichkeit und offene Kommunikation charakterisierte Beziehungsgestaltung, die bedürfnisorientierte Mobilisierung von Ressourcen in interdisziplinären Kooperationen oder auch die Unterstützung der Familien bei der selbstständigen Lösung ihrer Probleme. Herunter gebrochen auf die UN-BRK wiederum wären entsprechend die nachfolgenden Ableitungen denkbar:
- Bereitstellung (früher) Beratungs- und Informationsangebote für Eltern mit einem Kind mit einer Behinderung,
- Einbeziehung von Elternpositionen in eine „wertschätzende“ Inklusionsdebatte – Auseinandersetzung mit divergenten Vorstellungen,
- Elternwahlrecht bei der Entscheidung zwischen inklusiven und speziellen institutionellen Settings,
- sowie Kooperation und Vernetzung als Leitidee.
Der Input von Prof. Dr. Andreas Eckert zum Download.
Seite 1: Netzwerkversammlung 2014
Seite 2: Dr. Michael Wrase: Inklusion als (Menschen-)Recht?!
Seite 3: Dr. Sigrid Arnade: Die UN-BRK aus der Perspektive der Zivilgesellschaft
Seite 4: Prof. Dr. Andreas Eckert: Lebenslagen von Familien mit einem Kind mit einer Behinderung
Seite 5: Abschließende Diskussion im Plenum