Regionalkonfenz Ost I des Kita-Clusters

„Pädagogische Fachkräfte im Spannungsfeld der Wertekonflikte I“

wustmann2„Konflikte gehören zu unserem Alltag, aber leider gehen sie nicht von alleine weg sondern bedürfen einer aktiven Auseinandersetzung, um sie zu lösen“, so Prof. Dr. Cornelia Wustmann. Im Mittelpunkt der ersten Regionalkonferenz Ost am 29. Mai 2008 in Dresden stand der Umgang mit Wertekonflikten und mit Eltern, die die Demokratie und Menschenrechte aberkennen. Ziel der Regionalkonferenz war es daher, unter Zuhilfenahme des sächsischen Bildungsplanes Handlungsoptionen für Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte zu erarbeiten. Kooperationspartner vor Ort in Dresden waren die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, die AWO und der Landeselternrat Sachsen.

Etwa 70 pädagogische Fachkräfte waren gekommen, um sich die Vorträge von Thomas Platz (Sächsische Landeszentrale für politische Bildung), Dr. Katherine Bird (Bundesforum Familie), Arnfried Schlosser (Sächsisches Staatsministerium für Soziales), Danilo Starosta (Kulturbüro Sachsen) und Prof. Dr. Cornelia Wustmann (Leuphana Universität Lüneburg) anzuhören und anschließend am Nachmittag in Workshops zu diskutieren.

Wertewandel und Wertehaltung

platz ddIn den Vorträgen von Platz und Bird wurden grundsätzliche Fragen zu Wertevorstellungen und zur Wertevermittlung besprochen. Thomas Platz beschrieb den Wertewandel der letzten hundert Jahre in Deutschland, vom Kaiserreich über die Nazizeit bis zur Bundesrepublik. Er betonte das Spannungsfeld, in dem sich pluralistische, westliche Gesellschaften befinden, in denen es keinen allgemein verbindlichen Wertekanon mehr gibt und Wertehaltungen daher wandel- und angreifbar sind. Er wies darauf hin, dass viele Elternhäuser die Meinung vertreten, Wertebildung sei nicht Auftrag öffentlicher Bildungsinstanzen. In einer Umfrage sprachen sich 2/3 aller Eltern für „wertfreien“ Unterricht in der Schule aus. Seiner Meinung nach müssen Eltern und Erzieherinnen Werte leben und aktiv vertreten, er hält es jedoch für verkehrt zu glauben, dass Kita und Schule ein Reparaturbetrieb für die Gesellschaft sein können. Sein Fazit war, dass eine multikulturelle Gesellschaft trotz einer Vielfalt der Werte Verbindlichkeit braucht und dass auch gerade die Wertebildung als Integrationsinstrument sinnvoll sein kann.

kate ddDr. Katherine Bird stellte die Arbeit des Bundesforums Familie, sowie des Kita-Clusters vor. Sie betonte die Botschaft der Auftaktveranstaltung am 22. November 2007: Man kann Werte nicht nicht vermitteln, sondern Erwachsene sind immer Vorbilder für Kinder, ob sie es wollen oder nicht. Deswegen ist eine eigene sichere Wertehaltung unverzichtbar.

 

Die Entstehung des sächsischen Bildungsplanes

schlosser ddIn seinem Vortrag über die Entstehung des sächsischen Bildungsplans stellte Arnfried Schlosser fest, dass das Ziel, unsere Kinder und Enkel zu eigenverantwortlichen, ihrer Individualität bewussten und zugleich gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu erziehen, immer noch vorrangig durch eine Generation von Pädagogen umgesetzt werde, die es in ihrem eigenen Aufwachsen, in ihrer Schul- und Studienzeit ganz anders erlebt hätten. Er beschrieb die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem aktuellen sächsischen Bildungsplan und den damaligen Vorgaben in der DDR. Er wies darauf hin, dass Begriffe wie „Wohlbefinden“ dort keinen Platz gehabt hätten. Die Aufnahme religiöser Bildungselemente in den neuen Bildungsplan habe zu Konflikten geführt. Schlosser zitierte einige Sätze, die damals kontrovers diskutiert worden seien, z. B.: „Die aus der DDR-Zeit herrührende Überzeugung, die Religion hätte in der heutigen Zeit keinen Platz mehr, hat leider einen gewissen religiösen Analphabetismus hinterlassen“. Resümierend plädierte er dafür, stärker über den Wertekonsens in der Demokratie und die Schlussfolgerungen für Erziehung und Bildung zu sprechen – und auch zu streiten.

Werte sind weder „gut“ noch „schlecht“

staroste ddDanilo Starosta benutzte ein Werteviereck, um die Entstehung von Wertekonflikten zu erklären. Für jeden Wert gebe es einen positiven Gegenwert. Beide – der Wert und sein Gegenwert – könnten in ein Extrem „entarten“, wenn sie nicht hinreichend von dem anderen im Gleichgewicht gehalten würden. Ein Beispiel sei die Toleranz. Das eine Extrem von Toleranz sei Gleichgültigkeit und ein positiver Gegenwert die Überzeugungsgewissheit. Konflikte entstünden z. B., wenn zwei unterschiedliche Überzeugungsgewissheiten aufeinandertreffen.
Als Antwort darauf stellte Starosta eine Hierarchie der Konfliktlösung nach Gerhard Schwarz vor: Flucht, Vernichtung, Unterordnung, Delegation an einen Dritten (höhere Instanz), den Kompromiss suchen. Die Parallelwelt des Rechtsextremismus suche keinen Kompromiss mit der Gesellschaft, sondern wolle sie vernichten. Wenn Eltern vermuteten oder erführen, dass ihre Kinder so denken, würden sie Rat suchen. Das Kulturbüro Sachsen sei eine solche Beratungsstelle für besorgte Eltern.
Zum Schluss berichtete Starosta über ein Beispiel für Konfliktlösung mittels Unterordnung. Eine Frau habe ihr Kind in eine Kita in der Nähe von Berlin gebracht und die Einrichtung sei froh über eine „so aktive, interessierte, motivierte, ordnen könnende, moderieren könnende, kluge Frau“ gewesen, bis sie mitbekommen habe, dass sie dem Vorstand der NPD angehörte. Die Einrichtung habe den Betreuungsvertrag gekündigt – wie es einem freien Träger freistünde –, aber sie habe einen Rechtsanspruch auf öffentliche Erziehung. Die Kollegen vom mobilen Beratungsteam in Brandenburg hätten einen neuen Kita-Platz für das Kind gefunden, und zwar in einer AWO-Kita. Dafür müssten die Eltern den Magdeburger Appell der AWO für ein demokratisches Miteinander unterschreiben, der dazu auffordert, vehement gegen die Unterwanderung zivilgesellschaftlicher Strukturen durch Personen und Gruppierungen mit rechtem Gedankengut einzutreten.

Konflikte gehören zum Alltag

zuschauer ddProf. Dr. Cornelia Wustmann betonte in ihrem Vortrag die soziale Komponente von Wertekonflikten. Sie stellte fest, dass Kinder Werte brauchen, aber auch selber Werte haben. Kinder seien keine Konsumenten, sondern aktive Aneigner/innen von Werten. Sie betonte, dass Konflikte zu unserem Alltag gehörten, aber leider gingen sie nicht von alleine weg, sondern bedürften einer aktiven Auseinandersetzung, um sie zu lösen. Zur Illustration berichtete sie über ein Beispiel, in dem verschiedene Wertehaltungen zu einem Konflikt geführt hätten.
„Wenn ein Kind in der Kita Geburtstag hat, ist es üblich, dass an diesem Tag vom Geburtstagskind eine Torte mitgebracht wird. Insbesondere sehr arme Kinder bieten dann sehr häufig sehr teure Konditortorten auf. Der Konflikt, der sich in den Einrichtungen zeigen kann, bezieht sich auf die Möglichkeiten gerade dieser Familien.“
Die Mitarbeiter/-innen der Einrichtung würden sich fragen, wie die Familie sich das leisten könne, wenn sie doch von Hartz IV lebe und das Geld viel sinnvoller ausgeben solle. Vielleicht sei jedoch der Wert der teuren Torte ein anderer für die Mitarbeiter/-innen als in der Familie. Wenn man aber etwas tiefer in die Familien hineinschaue, entdecke man, dass es eigentlich um die Kaschierung von Armutsanzeichen geht. Die Familie lege viel Wert darauf, nicht als arm zu erscheinen, selbst um den Preis, dass sie, wie Wustmann es ausdrückte, „drei oder mehr Tage, im wahrsten Sinne des Wortes, trockene Nudeln ohne Sauce essen muss.“
Daraus schließ Wustmann: „Scheinbar eindeutige Situationen gibt es selten, deswegen müssen wir als Erwachsene beleuchten, was uns stört“ und schlug Reflektionsfragen für das Erkennen von Konflikten vor:
•    Wer sind in der Situation die Beteiligten?
•    Sehen diese selbst ein Problem?
•    Betrifft die Konfliktsituation auch Personen, die nicht direkt beteiligt sind?
•    Ist dies ein Problem, dass ich lösen möchte und kann?
•    Wo haben Kinder wirkliche Entscheidungsspielräume?
•    Wo gibt es Unterschiede, Widersprüche und Gegensätze zwischen den Erziehungsstilen Kita und Elternhaus?

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