Der Klimawandel ist nicht nur eine politische, technische und wirtschaftliche Herausforderung, sondern greift auch erheblich in den Gefühlshaushalt ein: die klimatischen Veränderungen und ihre Folgen nehmen auf vielen Ebenen erheblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit – und damit auch auf das Miteinander im Familienalltag. Welche Folgen sich daraus ergeben und wie zukünftig auf diese Belastungen familien- wie gesundheitspolitisch reagiert werden kann, diskutierten knapp 40 Vertreter*innen aus den Mitgliedsorganisationen des Bundesforums Familie im Rahmen einer Online-Veranstaltung mit Katharina van Bronswijk (Sprecherin der Psychologists and Psychotherapists for Future).
Die Themenperiode „Familien und Klimawandel“ deckt viele Aspekte ab, die sich sowohl auf den Familienalltag und die individuelle Ebene, als auch auf die politisch strukturelle Ebene beziehen. Das Thema der Veranstaltung ist ein solches „Multilayer-Problem“, das in verschiedene Politikbereiche von Bildung, Gesundheit, Soziales und Umweltpolitik hineinreicht. Die Gesellschaft steht in all diesen Bereichen vor der Herausforderung multipler Krisen, die in emotional aufgeladenen Diskursen verhandelt werden. Studien zeigen, dass eine deutliche Mehrheit von 86 % der deutschen Bevölkerung aufgrund das Klimawandels besorgt sind. Hier gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen Haushalten mit und ohne Kinder (Vgl. Soziales Nachhaltigkeitsbarometer 2023). Fast ebenso groß sei jedoch die Sorge vor sozialer Spaltung, zunehmend mit der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen in Verbindung gebracht würde. Wie wirken sich diese Sorgen und die damit verbundenen gesundheitlichen Belastungen auf Familien, familienpolitische Organisationen und Fachkräfte aus? Wie kann kluge Familienpolitik insbesondere hinsichtlich des Klimawandels Familien stärken? Werden durch die Klimakrise neue Unterstützungsangebote nötig? Welche Anpassungen müssen stattfinden, um den zukünftigen Herausforderungen besser zu begegnen? Um diese Fragen fundiert diskutieren zu können, informierte zunächst Katharina van Bronswijk über die Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit. Hier unterschied sie zwei große Stränge: 1. den „Climate Change Impact of Human Health“, d.h. den Einfluss einer veränderten Umwelt auf den menschlichen Organismus und 2. den „Climate Distress“, der die emotionale Belastung durch die Klimakrise bezeichnet.
„Climate Change impact of Human Health“
Katharina van Bronswijk eröffnete ihren Vortrag mit einem Blick auf die sich verändernden Lebensbedingungen So seien die planetaren Belastbarkeitsgrenzen (d.h. die Grenzen, innerhalb derer sich die Erde selbst regenerieren kann) bereits in sechs von neun Bereichen deutlich überschritten. Wassermangel und Hitzewellen würden das Leben in Zukunft bestimmen. Durch den hohen Eintrag von Phosphat und Nitrat seien die biochemischen Kreisläufe aus der Balance gekommen. Neuartige Substanzen (Mikroplastik, Atommüll, Pestizide) seien in unsere Umwelt gelangt. Artensterben und die Abholzung von Wäldern führten zur Veränderung unserer Wassersysteme. Diese und weitere Entwicklungen hätten bereits heute gravierende Folgen für das Leben und das Zusammenleben.
Verschiedene Klimawandelfolgen können, so Katharina van Bronswijk, Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit (Vgl. WHO „Climate Change Impact of Human Health“) haben: anhaltende Hitzeperioden führten zu einem gesteigerten Risiko für Herz- Kreislauferkrankungen; aufgrund von Luftverschmutzung und Erderwärmung käme es vermehrt zu Asthma und Allergien. Epidemiologische Studien zeigten, dass Schwermetalle und Feinstaub Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung von ungeborenen Kindern nehmen. Tropenkrankheiten (wie Malaria) würden sich zukünftig auch in Europa ausbreiten. Zudem sei damit zu rechnen, dass Extremwetterereignisse Ernteausfälle nach sich zögen und es daher zu einer schlechteren Nahrungsmittelversorgung kommen würde; Verteilungsproblematiken und vermehrte Migrationsbewegungen seien die Folge, was zu Konflikten und Kriegen führen könne. Sie vertiefte einzelne Aspekte:
Naturkatastrophen und Wetterextreme
Als eine der gravierendsten Auswirkungen auf die psychische Gesundheit nannte Katharina van Bronswijk Angst- und Traumafolgestörungen. Durch das Erleben von Naturkatastrophen und durch die Zunahme von Extremwetterereignissen werde dies zukünftig mehr Menschen betreffen: bei 10 bis 15 % der Menschen führten derartige Erlebnisse zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTB). Entscheidend dafür sei die Art der Traumatisierung sowie die psychosoziale Versorgung nach den Ereignissen. Bei Nichtbehandlung drohe eine Chronifizierung der Symptome. In Folge dessen können Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen entstehen, laut Studien sei dies bei bis zu 49 % der Betroffenen der Fall. Somatisierungsstörungen (körperliche Symptome durch psychische Störungen) seien insbesondere bei Kindern zu beobachten.
Katharina van Bronswijk plädierte angesichts dieser Entwicklungen für eine flächendeckende Notfallversorgung und professionellere Strukturen. Der Anstieg an Menschen mit einer PTB werde in Zukunft zu einer Herausforderung für die Gesundheitssysteme, denn bereits jetzt betrage die Wartezeit für einen Therapieplatz in Deutschland ca. 5-6 Wochen. Durch die Zunahme von Naturkatastrophen sei auch in Deutschland mit einem höheren Bedarf an Psychotherapie-Plätzen zu rechnen. In Deutschland bestehe die psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) derzeit fast ausschließlich aus ehrenamtlichen Helfer*innen – dies sei perspektivisch nicht weiter tragbar.
Hitze
Hitzeepisoden werden zukünftig zunehmen – mit zahlreichen Konsequenzen: Katharina van Bronswijk verwies auf Studien, die die Abnahme von Arbeitsproduktivität und Konzentration bei Hitze aufzeigten. Nicht zu unterschätzen sei, dass sich unter Hitzeeinwirkungen das Sozialverhalten ändere. Bei Hitze reagierten Menschen aggressiver, dies könnte insbesondere in Hochkonfliktfamilien eine Rolle spielen. Auch müsse zukünftig von großen Gruppen vulnerabler Personen ausgegangen werden: Bis zu zwei Drittel aller Menschen würden zukünftig zu den durch Hitze gefährdeten Personen zählen. Neben älteren Menschen und Kindern beinhalte das auch Menschen, die durch körperliche Arbeit, Arbeit unter freiem Himmel oder Obdachlosigkeit besonders exponiert seien. Menschen mit chronischen Erkrankungen seien ebenfalls gefährdet. Hitze, so Katharina van Bronswijk, gelte zudem als verstärkender Faktor von Demenz, bipolarer Störung oder Schizophrenie. Auch sei eine erhöhte Zahl an Suiziden und Gewaltverbrechen im Zusammenhang mit Hitzewellen festzustellen. Zudem hätten Medikamente bei Hitze teilweise veränderte Wirkungsweisen, die zu berücksichtigen seien. Manche Substanzen führten zudem zu einer schlechteren Hitzeanpassungsfähigkeit und so zu einer höheren Vulnerabilität der Behandelten.
Es sei notwendig, öffentliche Hitzeschutzräume auszubauen und zugänglich zu machen. Auch für den privaten Bereich brauche es Empfehlungen für Hitzeschutzmaßnahmen. Besonders wichtig sei, ein Verständnis in der Bevölkerung zu fördern, wie vielseitig die Wirkung langanhaltender hoher Temperaturen auf unseren Organismus und unsere Psyche ist.
Neue Herausforderungen für das Gesundheitswesen
Katharina van Bronswijk zeigte den Zusammenhang von individueller Gesundheit und Gesundheitswesen auf. Im Zentrum stehe das individuelle Wohlbefinden. Eine Verschlechterung individuell erlebter Lebensqualität wirke als Stressor im Sinne des Vulnerabilitäts-Stress-Modells. Stress könnte in einem resilienten System und durch Ressourcen abgepuffert werden. Wird ein System jedoch immer wieder gestresst und verfügt nicht über ausreichend Ressourcen, steige die Anfälligkeit für psychische Erkrankungen. Das bedeutet, dass Menschen mit Dispositionen für Krankheiten unter guten Lebensbedingungen ohne Erkrankung leben können. Stress – etwa stark veränderte Lebensbedingungen nach Naturkatastrophen, Hunger, gesundheitliche Probleme von Angehörigen – macht den Ausbruch eben dieser Krankheit wahrscheinlicher. Ein Beispiel: für einen Menschen mit depressiver Veranlagung wird mit Verschlechterung der Lebensumstände (=Stress) die Wahrscheinlichkeit höher, an einer Depression zu erkranken. Dieser Zusammenhang könne auch in der Zusammenarbeit mit Menschen mit Migrationsgeschichte relevant werden. Hier sei eine Sensibilisierung für die Problemlagen notwendig.
Nicht nur die Resilienz des Individuums, sondern des ganzen familiären Systems müsse in den Blick genommen werden. Systemische Belastungen könnten aus sozialpsychologischer Sicht zu einer Abnahme von sozialer Kohärenz und Stabilität führen. Eine Folge davon kann es zu einer gesellschaftlichen Entsolidarisierung und vermehrter Gewaltbereitschaft kommen. Dazu verwies Katharina van Bronswjik auf Studien, die den Zusammenhang von Sparpolitik im sozialen Bereich und demokratiegefährdenden Wahlergebnissen darlegen.
Climate Distress
Der Klimawandel und seine Folgen seien Auslöser von Unsicherheit und Angst, so Katharina van Bronswijk. Es gehe um die Bedrohung unserer körperlichen Unversehrtheit. Der Begriff Climate Distress bezeichne emotionale Auswirkungen des Klimawandels: Angst – Climate Anxiety; Wut – Eco Anger und Trauer – Climate Grief/ Solastalgia. Angst und Wut seien im Diskurs relativ präsent, Trauerprozesse verliefen hingegen leise und hintergründig. Gerade das mache die Trauer zu einer Belastung, auch weil sie besonders intim sei und selten kollektiv ausgelebt werde. Der Begriff „Solastalgia = Trostschmerz“ bezeichne das Erleben ehemaliger Wohlfühl-Orte als verschwundene oder negativ veränderte Orte: wie zum Beispiel der gefällte Baum der Kindheit, die abgestorbenen Wälder im Harz, das leere Dorf an der Abbruchkante des Kohlereviers. Der Klimawandel führe bei vielen Menschen zu einem Gefühl von Kontrollverlust.
In der Diagnose von psychischen Erkrankungen seien diese spezifischen Phänomene nicht aufgenommen worden. Denn in der Diagnostik seien Gefühle keine emotionalen Störungen, sondern Bedürfnisanzeiger. Wenn sie erfüllt seien, gehe es uns gut. Sinnvoll sei daher, so Katharina von Bronswijk, diese Bedürfnisse als solche erkennen und zu erfüllen. Dies bedeute vor allem: (gemeinsam) aktiv zu werden.
Maladaptiver Umgang mit Klimagefühlen
Die Klimakrise bedrohe uns und unser Zusammenleben auf existenzielle Weise. Damit umzugehen sei nicht leicht. Katharina van Bronswijk ging auf verschiedene Coping-Strategien ein. Eine schlechte Anpassung, d.h. ein maladaptiver Umgang mit Klimagefühlen sei das Vermeiden von Nachrichten (News Fatigue). Laut Umfragen würden etwa zwei Drittel der Deutschen diesen Weg wählen. Ein gegenteiliger Umgang sei der ausdauernde Konsum von Nachrichten (Doomscrolling): das Erhalten von möglichst viel Information suggeriere einen Ausweg aus dem erlebten Kontrollverlust. Sowohl der verringerte als auch der exzessive Nachrichten-Konsum sei laut Studien mit einer wachsenden, indifferenten Wut auf Mitmenschen verbunden und daher auf Dauer nicht hilfreich.
Verarbeitungsstrategien (Climate Grief)
Verarbeitungsstrategien zu entwickeln sei eine wesentliche Aufgabe für Individuen und Institutionen. Katharina van Bronswijk stellte in dem Zusammenhang das Phasenmodell von Elisabeth Kübler-Ross vor, welches die verschiedenen Stadien im Sterbeprozess formuliert: Leugnung, Wut, Aushandlung, Depression und Akzeptanz. Diese Phasen der Verarbeitung einer existenziellen Transformation seien auch für den Umgang mit der Klimakrise erkennbar. In der Phase der Leugnung seien indes immer weniger Menschen, laut einer Studie seien etwa 6% der deutschen Bevölkerung als Klimawandelleugner*innen einzustufen.
Haltung im Diskurs einnehmen
Katharina van Bronswijk forderte das Ende des politischen Verzögerungsdiskurses. Der Ausreden-Rhetorik des „Klimaschutz ja, aber…“ müsse mit Haltung und Argumenten begegnet werden: Klimaschutz sei zwar teuer, aber nicht so teuer wie kein Klimaschutz, wenn langfristig gedacht wird. Die „Anderen“ müssten auch klimafreundlicher werden, aber das sei kein Argument für das eigene Nichtstun. Es sei zwar spät, aber nicht zu spät. Bei Verweisen auf kommende Technologien müsse man gut prüfen, ob diese Innovationen nur Scheinlösungen und Ausreden für das eigene Nichtstun oder tatsächliche Schritte auf dem Weg zu einer sozial-ökologischen Transformation seien.
Resilienz stärken
Um die psychische Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten zu fördern, brauche es, so Katharina van Bronswijk, drei Punkte: 1. Aufklärung und Information – um zu verstehen, was los ist; 2. Handhabbarkeit – um zu wissen, an welcher Stelle zu Lösungen beigetragen werden kann und 3. das Erleben von Sinnhaftigkeit – um zu fühlen, dass das eigene Handeln Bedeutung habe.
Der Umgang mit der Klimakrise und alle drei Aspekte gehörten in den Schulalltag. Kindern und Jugendlichen müsse hier Raum für ihre Fragen und Gefühle gegeben werden. Ebenso wichtig seien Prozesse auch in der Familie: wenn Kinder Fragen zum Klimawandel und den Folgen haben, sei es wichtig, altersgemäße, ehrliche Antworten zu bieten und gemeinsame Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Diskussion
Die Runde diskutierte, welche Herausforderungen sich aus den psycho-sozialen Folgen der Klimakrise für den familienpolitischen Bereich ergeben. Ein Ziel müsse sein, Ressourcen aufzubringen, um pädagogische und therapeutische Angebote in entsprechenden Einrichtungen und ein Netz psychosozialer Versorgung auszubauen. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang auch eine Vereinfachung der Zulassungensverfahren von Therapeut*innen. Es müssten Wege gefunden werden, das System flexibler zu gestalten, um auf neue Versorgungslagen im Bereich der psychischen Gesundheit reagieren zu können.
Viel stärker müsse die wissenschaftlich belegte Tatsache, dass Sparpolitik zu „extremen“, d.h. demokratiegefährdenden Wahlergebnissen führe, an die Politik herangetragen werden. Die Runde diskutierte die enge Verbindung von Ausgaben im sozialpolitischen Bereich, Demokratiestärkung bzw. –verteidigung und Klimapolitik. Gerade auf der kommunalen Ebene, die sich sehr auf das Ehrenamt stütze und sowohl durch eine angespannte Haushaltslage als auch durch die gesellschaftliche Stimmung unter Druck gerate, sei es zunehmend schwierig, sich für familienfreundlichen Klimaschutz einzusetzen. Elena Gußmann verwies darauf, dass zu diesem Thema eine weitere Veranstaltung des Bundesforums Familie in Planung sei.
Als Reaktion auf eine der Hauptaussagen des Inputs, dass gemeinsames Handeln eine zentrale Komponente für die psychische Gesundheit sei, diskutierte die Runde, wie Familien als „change agents“ verstanden und angesprochen werden können. Das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten für die ganze Familie sei hier elementar – etwa eine Kinder-Fahrraddemo (Kidical mass), die auf die Notwendigkeit der Mobilitätswende hinweist und die ganze Familie anspricht. Hier müsse klassismussensibel vorgegangen werden. Klimafreundliches Verhalten müsse allen Familien offenstehen und es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Kinder Zugang zu zum Beipiel gesundem, ökologischen Essen sowie zu Reparatur-Treffen und Kleiderkreiseln haben. Diese Orte und Praktiken sollten nicht zu Stigmatisierung und Segregation, sondern zu einem „Wir-Gefühl“ beitragen. Als mögliche Orte für den Aufbau dieser Angebote wurden Einrichtungen benannt, an denen sich bereits Kinder und Jugendliche aufhalten: Grundschulen, Schulen, soziale Zentren. Abschließend wurde der Wunsch geäußert, das Bundesforum Familie noch mehr als Plattform für Verbände zu nutzen, die sich in diesem Bereich engagieren wollen. So könnte mehr Gewicht in die politischen Debatten eingebracht werden.